Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
Umriss eines Rocks, zwei blasse Schienbeine, hochhackige Schuhe. »Mimi?«, fragt er. Hat sie ihm beim Schlafen zugeschaut? »Verdammt, was soll das?«
»Nicht Mimi«, erwidert eine leise, beinahe kindliche Stimme. Die Gestalt tritt ins Mondlicht – es ist ein Mädchen, einige Zentimeter kleiner als er, etwa in seinem Alter oder ein bisschen jünger. Sie hat ein Stück Obst in der Hand; es ist rot wie ein Apfel, aber groß wie eine Honigmelone. Das Mädchen ist hübsch. Sie hat eine leichte Ähnlichkeit mit Mimi, doch ihr Gesicht wirkt weicher, ihre Lippen voller, und ihre Haut ist so dünn und zart, dass sich eine blassblaue Ader auf ihrer Schläfe abzeichnet. Sie ist nervös, vielleicht hat sie sogar Angst. »Ich bin Iralene.«
Mimis Tochter, die Pianistin. »Ist das für mich?«, fragt Partridge und deutet auf das Obst.
»Sozusagen.«
»Es ist mitten in der Nacht, oder? Oder ist die Nacht auch bloß vorgetäuscht?«
»Ich glaube, es ist wirklich Nacht.«
»Und was machst du dann hier?«
Sie strafft die Schultern und sagt wie auswendig gelernt: »Ich habe gehört, dass du hier ein wenig unglücklich bist. Vielleicht kann ich Abhilfe schaffen. Während deiner Genesung kannst du sein, wo du willst, Partridge. Auf der ganzen Welt.«
»Klasse, Iralene«, erwidert er mit bitterer Ironie. »Ganz toll. Vielen Dank auch.«
»Ich glaube, du hast nicht richtig verstanden. Auf der ganzen Welt.«
»Doch, doch, ich hab’s verstanden. Ich hab gesehen, wie der alte Mann am Strand deiner Mutter zugewinkt hat. Sehr beeindruckend. Sag meinem Vater, dass das ein großartiger Zaubertrick ist. Dass er’s echt drauf hat.«
Iralene verfällt in leichte Panik. »Das kann ich ihm nicht sagen!«
»Als ich klein war, haben wir einen neuen Teppich verlegen lassen, Profi-Qualität, sehr widerstandsfähig. In der Werbung haben sie gesagt, dass man darauf ein Ei hüpfen lassen kann. Mein Dad hat’s ausprobiert. Das Ei ist gehüpft. Sag ihm, das mit dem alten Mann ist sogar noch besser. Besser als ein hüpfendes Ei. Okay?«
»Von hüpfenden Eiern verstehe ich nichts«, erwidert Iralene, den Tränen nahe.
»Wie geht’s dem Alten eigentlich?«
Ihre Augen zucken nervös hin und her, als könnte Willux jeden Moment auftauchen. »Nicht so gut«, sagt sie dann. »Er hat schlimme Phasen. Aber bestimmt wird er bald wieder gesund!« Sie hält inne, als wäre sie unsicher, ob sie weiterreden soll. Partridge lässt die peinliche Stille im Raum hängen, und sein Plan geht auf – irgendwann muss Iralene die Stille ausfüllen. »Seine Haut ist ganz trocken. Seine Stimme ist …« Sie verstummt. Ist die Erinnerung an Willux’ Stimme so beängstigend? »Eine Hand rollt sich immer mehr ein.« Langsam verdreht sie die rechte Hand, bis die Finger richtig deformiert wirken, und hält sie vors Schlüsselbein. »Manche Fingerspitzen laufen bläulich an.«
»Bläulich?«
»Aber er hat wundervolle Ärzte! Und die besten Forscher arbeiten daran. Seine gesundheitlichen Problemchen sind sicher bald gelöst.«
»Okay. Und was will er von mir?«
Sie hält ihm das Stück Obst hin. Aber es ist kein Apfel und auch keine Melone – es ist ein rotes, auf Hochglanz poliertes Gerät aus wachsartigem Hartplastik. Ein Computer? »Während deiner Genesung kannst du sein, wo du willst, auf der ganzen Welt. Ich kann den Raum umprogrammieren. Wir können gemeinsam auf Reisen gehen!« In ihrer Stimme schwingt erzwungene Begeisterung mit.
»Ist das ein Spiel?«
»Willst du ein Spiel spielen?«
»Hör auf damit.«
»Womit?«
Er knipst die Nachttischlampe an.
Iralene fährt sich nervös durchs Haar. Sie hat eine Heidenangst.
»Was ist?«, fragt er. »Was macht dir solche Angst?«
»Ich habe keine Angst.« Sie zieht einen Schmollmund. Will sie mit ihm flirten? »Hast du Angst, Partridge?«
»Mein Vater hat dich geschickt. Aber ich fall nicht auf dich rein.«
»Wie meinst du das – reinfallen ? Ich bin echt. Das weiß ich ganz sicher.«
»Findest du es nicht irgendwie beunruhigend, dass du das extra betonen musst?«
»Ich will dich nicht beunruhigen. Ich will dir gefallen. Wirklich. Gefalle ich dir denn nicht? Bin ich denn nicht angenehm?«
»Du bist meine Stiefschwester. Oder hat mein Vater das nicht erwähnt? Deine Mutter und mein Vater sind verheiratet.«
»Aber wir sind nicht blutsverwandt . Das spricht also nicht gegen uns!«
»Es gibt kein uns «, entgegnet Partridge möglichst freundlich. »Und es wird auch keins geben.«
»Das darfst du
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