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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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gefunden, als El Capitán gedacht hätte. Die Straßen waren ruhig. Die paar Menschen unterwegs sind vor ihm geflüchtet, haben sich in dunklen Eingängen versteckt oder sind durch Seitengassen abgehauen. Auch wenn sie ihn und Helmud nicht persönlich kennen – sie sehen die Uniform, und das reicht meistens.
    Er beeilt sich trotzdem. Er liebt diesen verdammten Wagen, und einer der Gründe, warum er den Fahrer zusammengeschlagen hat, war sein Wunsch, selbst hinter dem Steuer zu sitzen und durch die Deadlands zu rasen. Also ja, er will zu dem Wagen zurück, aber auch Pressias Sicherheit ist ihm wichtig. Wenn er zurückkommt und sie verschwunden oder tot ist oder nur ein paar Teile von ihr übrig sind, weiß er nicht, ob er damit klarkommt. Irgendwas ist an diesem Mädchen, so viel scheint klar. Sie hat ein gutes Herz. Jemandem wie ihr ist er lange nicht mehr begegnet. Oder liegt es daran, dass er aufgehört hat zu suchen?
    Es ist merkwürdig, jemanden da draußen zu haben, der auf einen wartet. Es gibt Geschichten, Legenden über Liebende, die während der Explosionen füreinander gestorben sind. Leute, die wie El Capitán wussten, dass es passieren würde. Die Fluchtpläne geschmiedet, Vorratslager angelegt und Treffpunkte vereinbart hatten. Die Treffpunkte hatten nicht funktioniert bei diesen Liebespaaren. Einer sollte auf den anderen warten. Vielleicht gab es einen Plan, nur so und so lange zu warten – eine halbe Stunde, vierzig Minuten – und dann Schutz zu suchen. Aber diese Verliebten warteten immer zu lange. Sie warteten für immer. Sie warteten, bis sich der Himmel in rote Asche verwandelte. El Capitán hat mal jemanden ein Lied singen hören über diese Liebespaare und es nie wieder vergessen. Es war seltsam. Der Typ stand einfach da, mitten auf der Straße, und sang.
    Am Bahnsteig stehe ich allein,
    Nebelschleier ziehen Kreise.
    Züge fahren nicht mehr ein,
    der Dunst sinkt langsam, sanft und leise.
    Daraus empor steigt meine Geliebte,
    sie sieht auf die Uhr und lacht.
    Sie weiß, ich habe gewartet,
    ein ganzes Leben lang, jede Nacht.
    Und dann hebt der Wind sie hoch,
    trägt sie fort, weit weg von hier.
    Zurück bleibt nichts als Asche,
    mischt sich mit Tränen von mir.
    Aus Asche und Tränen, aus Asche und Tränen
    formt sich prachtvoller Stein.
    Ich stehe am Bahnsteig auf ewig,
    erstarrt, leblos – und allein.
    El Capitán war noch jünger gewesen und auf Streife. »Meine Fresse, knall ihn doch endlich ab«, meinte einer der anderen Soldaten. Doch El Capitán hatte ihm widersprochen. »Nein. Lasst ihn singen.« Er hat das Lied nie vergessen.
    Er geht zum Kühlraum, und tatsächlich, dort ist eines der rattenartigen Tiere in einem Käfig, genau wie Pressia es in ihrer Skizze eingezeichnet hat. Er überlegt kurz, ob er es mitnehmen soll. Es ist dick. Der Geruch nach gegrilltem Fleisch hängt in der Luft. Er hört, wie Helmud anfängt, schnalzende Geräusche zu machen, als wollte er das Tier locken. »Mmmmm«, stöhnt Helmud.
    »Ja, ja, mmmmm. Aber wir haben keine Zeit.«
    Das Problem ist, dass El Capitán nicht weiß, wonach er sucht. Etwas, das nicht hierhergehört? Nicht einfach, wenn man den Raum nicht kennt und noch nie gesehen hat. Es gibt zwei ungepolsterte Lehnsessel, die Truhe, die Metallwände, die Schienen an der Decke, die Haken. Einen Metalleimer mit frischer Asche. Er nimmt einen Stab, rührt in der Asche und findet Reste von verbrannter Kleidung. Eine Hose, ein Hemd, eine kleine Metalldose, einen verkohlten Rucksack. Er nimmt die Dose, klappt sie auf, und ein seltsames hohes, klimperndes Geräusch ertönt, dann verstummt es wieder. El Capitán schiebt die Dose in die Tasche, für den Fall, dass sie wichtig ist.
    Er duckt sich unter einem Haken hindurch und wendet sich der Truhe zu.
    Helmud macht erneut schnalzende Geräusche, lockt das gefangene Tier in seinem Käfig.
    »Halt die Klappe, Helmud!«, befiehlt El Capitán.
    Helmud bäumt sich auf, versucht zu dem Tier im Käfig zu gelangen, was El Capitán das Gleichgewicht nimmt. Er fällt auf ein Knie. »Verdammt, Helmud! Was soll das?«
    Dann spürt er etwas Spitzes unter seinem Knie. Einen Stein. Er steht auf.
    Dort vor ihm auf dem Boden liegt ein Stück Schmuck. Ein zerbrochener Vogel mit einem blauen Stein als Auge an einer goldenen Kette. Hat es irgendeine Bedeutung? Kann Pressia etwas damit anfangen?
    Er hebt es auf und steckt es ein. Dann geht er zu dem Versteck, das Pressia auf ihrer Skizze eingezeichnet hat. Es sind nicht so

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