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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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viele Waffen hier, wie sie gesagt hat. Vielleicht haben Bradwell und der Reine den Rest mitgenommen. Er streckt die Hand in das Loch und ertastet die scharfe Klinge eines Messers. Eine Elektroschockpistole. Das ist alles. Er steckt beides ein und richtet sich auf.
    Er nimmt einen letzten tiefen Atemzug – aaah, der Duft von gegrilltem Fleisch –, dann verlässt er das Versteck.

PARTRIDGE
    Zwanzig
    »Du wolltest mich an sie ausliefern, als wäre ich dein Eigentum!«, schimpft Partridge. Er sitzt mit Bradwell auf einer Palette auf dem Fußboden eines kleinen Raums, und wie im Kellergeschoss zuvor gibt es auch hier ein eigenartiges Sammelsurium von Gegenständen, die die Wände säumen und den Raum noch kleiner erscheinen lassen, als er ohnehin ist. Als hätten die Mütter alles von möglichem Wert aus den Meltlands geborgen und hierhergeschafft, wo sie ihre Schätze horten.
    »Ich hatte nicht vor, dich auszuliefern«, entgegnet Bradwell. »Ich wollte dich eintauschen. Das ist etwas völlig anderes.«
    »Nenn es wie du willst, es kommt auf dasselbe raus!«
    »Aber ich habe gesagt, dass das nicht geht, oder?« Bradwell zieht seine Jacke aus. Die Fleischwunde in seiner inzwischen geschwollenen Schulter hat aufgehört zu bluten. Er knüllt die Jacke zu einem Kissen zusammen, legt sich auf die Seite und schiebt sie sich unter den Kopf.
    »Sicher. Sie geben sich mit einem Stück von mir zufrieden. Großartig. Ein Memento. Was soll’s?«
    »Hey – du schuldest Pressia was! Du verdankst ihr dein Leben.«
    »Ich wusste nicht, dass du das so wörtlich nehmen würdest. Wo ich herkomme, ist das eine Redewendung, weiter nichts.«
    »Redewendungen sind ein Luxus, den du dir vielleicht im Kapitol erlauben kannst. Hier nicht. Hier geht es um Leben und Tod, und zwar jeden Tag.«
    »Ich werde jedenfalls kämpfen«, sagt Partridge. »Das ist ein Instinkt. Ich kann nicht anders. Niemand bekommt ein Stück von mir, ohne dass ich mich wehre.«
    »Ich würde davon abraten angesichts dieser Leute, aber tu, was du nicht lassen kannst.« Bradwell schiebt seine Jacke zurecht und schließt die Augen. Es dauert nur ein paar Minuten, bis er tief und fest schläft.
    Partridge versucht es ihm gleichzutun. Er rollt sich auf seiner Palette zusammen und schließt die Augen, doch das Einzige, worauf er sich konzentrieren kann, ist Bradwells unregelmäßiges Schnarchen. Partridge nimmt an, dass Bradwell gelernt hat, in den unmöglichsten Situationen zu schlafen. Partridge auf der anderen Seite ist schon immer beim kleinsten Geräusch wach geworden – einem der Lehrer bei seinem Rundgang durch das Wohnheim, jemand draußen auf dem Rasen nach Beginn der Schlafenszeit, dem Ticken der Belüftungsanlage.
    Schließlich nickt er ein, döst mehr, ohne richtig zu schlafen. Er denkt an Bradwell, Pressia, den Kühlraum, das Hier und Jetzt, die tote alte Frau, das Kesseltreiben, die Mütter. Er sieht Lyda vor seinem geistigen Auge, ihr Gesicht in der Dunkelheit der Ausstellung des Häuslichen Lebens, ihre Stimme, die leise eins, zwei, drei … zählt. Auf der Tanzfläche küsst sie ihn, zärtlich, auf den Mund, und er küsst sie zurück. Sie löst sich von ihm, doch diesmal sieht sie ihn an, als würde sie versuchen, sich sein Gesicht einzuprägen, als wüsste sie, dass es das letzte Mal ist, dass sie ihn nie wiedersehen wird. Dann dreht sie sich um und läuft davon. Er dreht sich auf der Palette. Für einen Moment wacht er auf. Wo ist Lyda jetzt? Dann wird sein Bewusstsein wieder leer, Schlaf übermannt ihn, und er träumt, er wäre ein Baby. Seine Mutter hält ihn in den Armen, ihre Flügel tragen beide durch die kalte, dunkle Luft. Die Federn rascheln, die Flügel schlagen – oder sind es Bradwells Flügel? Und ist es dunkel, weil Nacht ist – oder weil die Luft mit Rauch erfüllt ist?
    Und dann ist da die Stimme in der Dunkelheit, sechzehn, siebzehn, achtzehn … Lyda zählt in der Ausstellung langsam bis zwanzig, doch alles ist voller Rauch. Trotzdem streifen seine Finger über die Klinge. Und dann sagt Lyda: »Zwanzig.«

PRESSIA
    Erde
    Pressia versucht auf eine Veränderung der Umgebung zu achten, ein Sich-Heben des dunklen, staubigen Sandes, Trichter, Wellen. Der Wagen ist halb verborgen hinter der umgekippten Plakatwand. Die Schlüssel stecken in der Zündung. Sie leidet immer noch unter den Nachwirkungen des Ethers. Sie fühlt sich schwer und warm. Döst ein, schreckt wieder hoch.
    Sie hält das Gewehr mit ihrer gesunden Hand fest gepackt.

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