Memento - Die Überlebenden (German Edition)
feucht. Die Atmosphäre ist still und beklemmend. Partridge wird auf die Knie gestoßen. Seine Hände sind immer noch hinter dem Rücken gefesselt. Der Kopfkissenbezug wird heruntergerissen, und es fühlt sich gut an, wieder richtig atmen zu können, wieder normal zu sehen.
Bradwell kniet neben ihm, ebenfalls ohne Kapuze. Er wirkt benommen.
Sie sind umzingelt von einem Dutzend schwer bewaffneter Frauen mit und ohne Kinder.
Partridge senkt den Kopf, bis das Kinn die Brust berührt, um sein makelloses Gesicht zu verbergen. »War das der Plan?«, flüstert er Bradwell zu.
»Ich glaube, wir sind nah dran«, flüstert Bradwell zurück.
»Tatsächlich? Nah an was? Dem Tod?«
Der Keller ist riesig und leer – die Sorte Untergeschoss, die man unter einer Heilanstalt oder einem Gefängnis erwarten würde. Die Wände jedoch sind gesäumt von einer Sammlung gewöhnlicher Gegenstände, verbrannt, geschmolzen, rostig, verbogen: Räder, Schaufeln, Bowlingkegel, Sportgeräte. Außerdem zusammengelegte Pritschen, eiserne Badewannen, Putzgeschirr auf Rollen.
Vor ihnen steht eine Frau. Sie hält ein blondes Kind von vielleicht zwei oder drei Jahren. Ein Arm ist schützend über den Kopf des Kindes gelegt und dort mit ihm verschmolzen. In der anderen, freien Hand hält sie einen Baseballschläger mit einem Axtkopf am Ende. »Tote, was habt ihr im Land Unserer Guten Mutter zu suchen?«, fragt sie Bradwell und Partridge.
Mit gesenktem Kopf sieht Partridge zu Bradwell.
»Wir sind auf einer Mission«, antwortet Bradwell, »und wir haben eine von uns verloren. Wir brauchen die Hilfe Eurer Guten Mutter. Es geht um ein Mädchen, ihr Name ist Pressia. Sie ist sechzehn. Wir glauben, dass die OSR sie entführt hat, aber wir sind nicht sicher.«
»Das ist normal, Toter«, sagt die Frau. »Die OSR holt die Leute, wenn sie sechzehn sind.«
»Nun ja, die Umstände sind nicht normal, weil er da nicht normal ist.« Bradwell nickt mit dem Kopf in Partridges Richtung.
Partridge starrt ihn an.
»Zeig ihnen dein Gesicht«, sagt Bradwell.
Partridge erschrickt. Will Bradwell ihn opfern? Einen Reinen? War das Bradwells Plan, die ganze Zeit? »Nein«, sagt Partridge. »Was soll das werden?«
»Zeig ihnen dein Gesicht!«, wiederholt Bradwell.
Partridge hat keine Wahl. Die Frauen warten. Er hebt das Kinn. Die Frauen und ihre Kinder treten näher. Sie starren und gaffen Partridge an.
»Zieh dein Hemd aus«, sagt eine der Frauen.
»Es sieht genauso aus unter dem Hemd«, sagt Partridge.
»Mach schon.«
Partridge öffnet die obersten Knöpfe seines Hemds und streift es über den Kopf.
»Er ist ein Reiner«, sagt die Frau.
»Genau.«
»Unsere Gute Mutter wird sich freuen«, sagt die Frau mit dem blonden Kind. »Sie hat die Gerüchte von dem Reinen gehört, der aus dem Kapitol gekommen sein soll. Sie wird ihn behalten wollen. Was verlangst du als Gegenleistung für ihn?«
»Ich lasse mich nicht verkaufen!«, sagt Partridge.
»Ist er deiner oder nicht?«, fragt die Frau Bradwell.
»Eigentlich nicht. Aber ich bin sicher, wir finden eine Vereinbarung.«
»Vielleicht begnügt sie sich mit einem Stück von ihm«, sagt die Frau zu Bradwell.
»Was soll das heißen, ein Stück?«, sagt Partridge. »Ihr spinnt wohl!«
»Wir glauben, dass die Mutter dieses Reinen noch am Leben ist. Er sucht nach ihr.«
»Auch das wird Unsere Gute Mutter möglicherweise interessieren.«
»Bis dahin könntet ihr vielleicht unter den anderen Müttern verbreiten, dass wir Pressia suchen?«, sagt Bradwell. »Sie hat dunkles Haar, dunkle mandelförmige Augen und einen Puppenkopf anstelle einer Hand. Sie ist zierlich. Sie hat eine Narbe um das rechte Auge herum – eine halbmondförmige Narbe – und Verbrennungen auf der gleichen Seite des Gesichts.« Als Bradwell Pressia beschreibt, fragt sich Partridge, ob er in sie verliebt ist. Mag er sie, oder fühlt er sich einfach nur verantwortlich? Partridge ist nie auf den Gedanken gekommen, dass Bradwell sich verlieben könnte, aber natürlich kann er das. Das ist schließlich nur menschlich. Für einen Moment mag er Bradwell beinahe, hat das Gefühl, sie hätten eine Gemeinsamkeit, doch dann fällt ihm wieder ein, dass er ihn verkaufen will, oder zumindest einen Teil von ihm.
Die Frau nickt. »Wir geben die Nachricht weiter.«
PRESSIA
Speiche
Pressia weiß nicht genau, was im Haus von Ingership mit ihr passiert ist. Sie hat vor dem Eingang das Bewusstsein verloren und ist erst auf dem Rücksitz des Wagens wieder zu
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