Memento - Die Überlebenden (German Edition)
die Erde. Vielleicht ist sie in einem Bunker in diesen Hügeln«, sagt Pressia.
»Okay. Morgen gehen wir nach Osten«, sagt Partridge.
»Aber das könnte genau falsch sein«, entgegnet Pressia.
»Osten ist alles, was wir haben«, sagt Bradwell.
Pressia sieht ihn an. Sie bemerkt helle goldene Flecken in seinen dunkelbraunen Augen. Sie sind ihr vorher noch nie aufgefallen. Es sieht wunderschön aus – wie Honig. »Alles, was wir haben?«, fragt sie ihn. »Du hast deine Schuld bezahlt, klar?«
»Ich bin trotzdem dabei«, sagt Bradwell.
»Nur, wenn du aus freien Stücken dabei bist.«
»Okay, ich bin freiwillig dabei. Ich habe meine eigenen Gründe. Akzeptierst du das?«
Pressia zuckt die Schultern.
Bradwell nimmt ihre Hand und lässt die Halskette hineinfallen. »Die solltest du tragen«, sagt er.
»Nein«, widerspricht sie. »Sie gehört mir nicht.«
»Aber ja«, sagt Partridge. »Sie gehört jetzt dir. Sie würde es so wollen. Du bist ihre Tochter.«
Tochter – das Wort klingt so fremd.
»Möchtest du oder nicht?«, fragt Bradwell.
»Ja.«
Bradwell öffnet den zierlichen Verschluss. Sie dreht sich um, hebt ihre Haare, vorsichtig wegen des Verbands. Er hebt den Anhänger an der offenen Kette mit beiden Händen über ihren Kopf und verschließt die Spange wieder. Dann tritt er zurück. »Sieht hübsch aus«, sagt er dann.
Sie betastet den Anhänger mit einem Finger. »Ich habe noch nie eine richtige Kette gehabt«, sagt sie. »So weit ich mich erinnern kann.«
Der Anhänger ruht auf ihrer Brust unterhalb des Lederwürgers, der den Druckverband in ihrem Nacken hält, in der Vertiefung zwischen ihren Schlüsselbeinen. Der Stein leuchtet in strahlendem Blau. Dieser Anhänger hat früher ihrer Mutter gehört. Er hat ihre Haut berührt. Was, wenn er ein Geschenk von Pressias Vater war? Wird sie jemals irgendetwas über ihn erfahren?
»Ich sehe sie in dir«, sagt Partridge in diesem Moment. »Es ist die Art, wie du den Kopf neigst, wie du gestikulierst.«
»Ehrlich?« Die Möglichkeit, dass sie ihrer Mutter ähnlich sehen könnte, macht sie glücklicher, als sie es je für möglich gehalten hätte.
»Ja. Und in deinem Lächeln«, sagt Partridge.
»Ich wünschte, mein Großvater könnte es sehen«, sagt sie zu ihnen. Sie erinnert sich, wie er zu ihr sagte, als er ihr die Clogs schenkte, er wünschte, sie wären etwas Schöneres, und dass sie etwas Schönes verdient hätte.
Und da ist es. Ein kleines Stück Schönheit.
PRESSIA
Kolben
Partridge ist der Erste, der einschläft. Er legt sich auf den Rücken, die verletzte Hand auf der Brust. Pressia liegt auf der anderen Palette und Bradwell auf dem Boden. Er hat darauf bestanden, doch jetzt hört Pressia, wie er sich herumwälzt und versucht, es sich bequem zu machen.
»Das reicht jetzt«, sagt sie. »Ich kann nicht schlafen, wenn du dich ständig hin- und herwälzt. Ich mache dir Platz.«
»Nein danke. Es geht schon.«
»Oh, damit du dich hinterher als Märtyrer hinstellen kannst, oder wie? Ist es das?«
»Ich habe nicht nach dir gesucht, weil ich deinem Großvater etwas schuldig war. Das habe ich dir schon mal gesagt, aber du wolltest ja nicht zuhören.«
»Und jetzt höre ich nur, dass du auf dem Boden schlafen willst und ich mich hinterher deswegen schuldig fühlen soll!«
»Also schön«, sagt er. Er steht vom Boden auf und legt sich neben sie auf die Palette.
Sie liegt auf dem Rücken, doch Bradwell kann das nicht, wegen der Vögel. Sie machen ebenfalls Anstalten zu schlafen. Er rollt sich zusammen, Pressia zugewandt, und für einen Moment kann sie sich beinahe vorstellen, dass sie draußen liegen unter einem Himmel voller Sterne in einer klaren Nacht.
Alles ist still. Sie kann nicht schlafen. »Bradwell«, flüstert sie schließlich. »Lass uns Ich-erinnere-mich spielen.«
»Du kennst meine Geschichte. Ich habe sie bei der Versammlung erzählt.«
»Denk an irgendwas anderes. Irgendwas. Rede. Ich möchte eine Stimme hören.« Sie will seine Stimme hören. So wütend er sie auch machen kann, seine Stimme wirkt eigenartig beruhigend. Ihr wird bewusst, dass sie ihn auch deswegen reden hören möchte, weil er immer aufrichtig ist, gleichgültig, ob sie seiner Meinung ist oder nicht, und dass sie auf das vertrauen kann, was er sagt.
Und sie ist völlig überrascht von seinen nächsten Worten. »Nun ja … ich habe dich mal belogen.«
»Hast du?«
»In der Krypta«, sagt er. »Ich habe die Krypta entdeckt, als ich ein kleiner Junge war,
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