Memento - Die Überlebenden (German Edition)
wir.«
»Ich passe nicht durch das Fenster«, sagt Bradwell.
»Ich auch nicht«, sagt El Capitán. »Nicht mit Helmud.« Er deutet auf seinen Bruder hinter sich.
Einer der Soldaten tritt zu dem Fenster, das leicht schräg in den Hang eingepasst ist. Er rammt das Knie gegen das Glas und bohrt so ein kleines Loch hinein. Den Rest hämmert er mit der bloßen Faust heraus, doch er fängt nicht an zu bluten.
»Nur der Willux-Junge und Pressia«, sagt der Soldat.
»Vielleicht ist sie gar nicht da«, sagt Pressia. »Vielleicht ist sie tot.«
Der Soldat schweigt für einen Moment, als würde er auf die Bestätigung von Befehlen warten.
»Dann bringt ihre Leiche raus«, sagt er dann.
Das Fenster ist eine dunkle Sichel, schwach erhellt von innen. Partridge steigt ein, mit den Füßen voran. Er lässt sich nach unten gleiten, dann springt er. Pressia setzt sich auf die mit Glassplittern übersäte Kante. Sie schiebt die Beine hinein und tastet mit den Zehenspitzen umher, dann spürt sie Partridges Hand. Sie blickt ein letztes Mal zurück. Da sind El Capitán und Helmud, die mit wilden Blicken um sich sehen, die Reine namens Lyda mit dem geschorenen Kopf, umgeben von den scheußlichen Soldaten, die sie überragen. Und dann ist da Bradwell, das Gesicht dreckverschmiert und blutig. Er sieht sie an, als versuche er, sich ihr Gesicht einzuprägen, als hätte er Angst, sie nie wiederzusehen.
Sie sagt: »Ich komme wieder«, doch es ist ein Versprechen, von dem sie nicht weiß, ob sie es halten kann. Wie kann überhaupt irgendjemand versprechen, dass er zurückkommt? Sie denkt an den Smiley, den sie in die Asche im Schrank gemalt hat. Es ist kindisch. Dumm. Eine Lüge.
Sie gleitet von der Kante und lässt sich durch das Fenster fallen. Trotz Partridges Hilfe landet sie unsanft auf dem Boden.
Sie befinden sich in einem kleinen Raum. Der Boden und die Wände sind aus Fels. Es gibt nur einen Weg – einen schmalen Gang hinunter, dessen Wände mit Moos bewachsen sind. Pressia blickt nach oben zu dem sichelförmigen Fenster, doch außer grauem Himmel und ein paar Zweigen, die in ihr Blickfeld ragen, ist nichts zu sehen.
Vom anderen Ende des Ganges ruft eine Männerstimme. »Hier entlang!« Eine große Gestalt mit schmalen Schultern tritt um eine Biegung. Das Licht kommt von hinten, und ihre Gesichtszüge liegen im Dunkeln. Einen Augenblick lang denkt sie das Wort Vater , doch es bleibt nicht hängen. Sie traut ihren Augen nicht. Das alles ist unglaublich.
Sie dreht sich zu Partridge um. »Ich muss mehr über das Mädchen wissen!«, flüstert sie drängend.
»Lyda.«
»Wirst du deine Mutter ausliefern, um sie zu retten?«
»Ich wollte Zeit gewinnen. Lyda weiß was. Sie kennt den Schwan. Wer wartet auf den Schwan? Was bedeutet das alles?«
»Wirst du unsere Mutter ausliefern, falls sie noch lebt?«, fragt Pressia erneut.
»Ich glaube nicht, dass ich diese Entscheidung treffen werde, alles in allem.«
Pressia packt ihn am Hemd. »Würdest du? Würdest du es tun? Um Lyda zu retten? Ich habe es getan. Ich habe meinen Großvater geopfert. Er ist tot.« Hätte sie ihn retten können? Wenn sie die Befehle befolgt hätte?
Partridge sieht Pressia in die Augen. »Was ist mit Bradwell?«
Die Frage kommt völlig unerwartet. »Warum willst du das wissen?«
»Was würdest du tun, um ihn zu retten?«
»Niemand hat von mir verlangt, meine Mutter auszuliefern, um ihn zu retten«, sagt Pressia. Beschuldigt er sie etwa, Gefühle für Bradwell zu haben? »Also spielt es keine Rolle.«
»Was, wenn man dich zwingen würde zu wählen?«
Pressia ist nicht sicher, was sie sagen soll. »Ich würde mich eher selbst ausliefern.«
»Und wenn das keine Option wäre?«
»Partridge«, flüstert sie. »Sie können alles hören, was wir sagen, sie können alles sehen, was ich sehe. Alles.«
»Das interessiert mich nicht mehr«, sagt er. Seine Augen sind wässrig, seine Stimme ist flach. »Sedge. Mein Bruder. Er ist nicht tot. Er ist einer von denen da draußen.«
»Wer?«, fragt Pressia.
»Die Spezialkräfte«, sagt Partridge. »Er ist einer von den Soldaten da draußen. Sie haben ihn verwandelt, in ein … Ich weiß nicht, ob er noch dadrin ist. Ich weiß nicht, was sie mit seiner Seele gemacht haben. Wir können nicht …«
Vor ihnen ertönt eine Stimme. »Hier entlang.« Es ist eine Männerstimme, tief und unerschütterlich. »Wir sind da.«
Partridge greift nach ihrer Hand, doch stattdessen erwischt er den Puppenkopf. Pressia erwartet,
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