Memento - Die Überlebenden (German Edition)
rausgefunden, wie du aus dem Kapitol entkommen kannst?«, fragt Bradwell. »Eine Konstruktionszeichnung? Ist es das, was du gesagt hast?«
»Eine der originalen Konstruktionszeichnungen«, antwortet Partridge. »Mein Vater hatte sie geschenkt bekommen.«
»Lass mich raten – ein Geschenk, das er erst vor Kurzem bekommen hat, stimmt’s?«
»Ja, zum zwanzigjährigen Dienstjubiläum. Warum?«
»Eine gottverdammte Konstruktionszeichnung, gerahmt und an eine gottverdammte Wand gehängt!«
»Was ist denn verkehrt daran?«, fragt Partridge, aber er hat ein ungutes Gefühl. Er kann fast spüren, was daran nicht stimmt. »Ich habe das Ventilationssystem selbst ausgekundschaftet«, fügt er hastig hinzu. »Ich habe die Intervalle gemessen. Drei Minuten zweiundvierzig Sekunden.«
»Ist dir nie der Verdacht gekommen, dass du diese Zeichnungen finden solltest?«
»Nein. Nein, so ist es nicht. Mein Vater hätte mir niemals zugetraut, dass ich auf so eine Idee kommen könnte. Aus dem Kapitol fliehen, meine ich.« Partridge schüttelt den Kopf. »Du kennst ihn nicht.«
»Tatsächlich?«
»Er hält nicht viel von mir.«
»Stimmt. Ich meine, es ist schon ein bisschen peinlich, dass sie erst diese gottverdammten Konstruktionszeichnungen an die Wand hängen mussten …«
»Sei still!«, begehrt Partridge auf.
»Es ist die Wahrheit, und du weißt das. Du spürst es. Ein heißer Knoten in deinem Kopf. Es ergibt plötzlich alles einen Sinn. Die Steinchen fallen an ihren Platz, oder?«
Partridge presst die Lippen zusammen, doch sein Verstand rast. Es stimmt. Er brauchte ein paar Sachen, und rein zufällig ergab sich eine Gelegenheit, sie zu organisieren. Glassings hat seit Jahren für die Besuchsgenehmigung im Archiv gekämpft, und ausgerechnet jetzt, aus heiterem Himmel, darf er den Ausflug machen?
»Wie hast du Pressia kennengelernt?«, fragt Bradwell jetzt leise.
»Ich weiß nicht genau. Sie sagte, sie wäre den Trucks der OSR aus dem Weg gegangen. Die Trucks waren überall.«
»OSR«, sagt Bradwell. »Shit! Ihr beide wart wie Schafe. Ihr wurdet getrieben.«
»Von der OSR? Du meinst, die bekommen Befehle vom Kapitol? Sie sind in Wirklichkeit gar keine Revolutionäre?«
»Ich hätte es sehen müssen! Selbst das Kesseltreiben war geplant. Die Gesänge der Jäger haben sie in die richtige Richtung dirigiert.« Bradwell geht auf und ab und tritt gegen Steine. »Glaubst du allen Ernstes, das Kapitol hätte dich einfach so abhauen lassen? Sie haben alles arrangiert. Dein Daddy hat sich um alles gekümmert«, sagt Bradwell.
»Das ist nicht wahr!«, widerspricht Partridge leise. »Diese Ventilatorflügel hätten mich fast umgebracht!«
»Aber sie haben dich nicht umgebracht.«
»Woher wollten sie denn wissen, wo Pressia ist?«, fragt Partridge. »Ihr Chip ist tot.«
»Sie hat sich geirrt.«
»Aber was wollen sie von ihr?«
»Ich will alles sehen, was du bei dir hast«, sagt Bradwell. »Ich will alles wissen, was du weißt. Ich will wissen, was in deinem Kopf ist! Das ist dein Wert für mich, hast du das verstanden?«
Partridge nickt. »Okay. Ich tue alles, um zu helfen.«
LYDA
Streifen
Von ihrem Zimmer aus kann Lyda die Gesichter der anderen Mädchen sehen, wenn sie aus den kleinen rechteckigen Fenstern spähen, die oben in die linke Ecke ihrer Türen eingelassen sind. Sie ist am längsten von allen hier. Die anderen Gesichter in diesem Flügel bleiben einen Tag, dann verschwinden sie wieder – wohin? Lyda weiß es nicht. Relokation nennen die Wärter es. Wenn sie Lyda ihr Essen auf den unterteilten Tabletts bringen, reden sie über ihre Relokation. Sie wundern sich, warum es so lange dauert. Sie machen schon fast Witze darüber. »Warum bist du so lange hier?«, wollen sie wissen. Es ist ihnen ein Rätsel, aber sie dürfen keine Fragen stellen. Einige wissen von Lydas Verbindung zu Partridge. Manche senken sogar die Stimme und stellen Fragen über ihn. »Was wollte er mit dem Messer?«, erkundigt sich einer verschwörerisch.
»Was für ein Messer?«, fragt sie zurück.
Die Gesichter der Mädchen schweben scheinbar körperlos in den rechteckigen Fenstern der anderen Zellen. An ihnen kann man die Tage zählen. Ein neues Mädchen kommt. Dann wieder eines, das ihren Platz einnimmt. Manchmal gehen sie zur Therapie, dann kommen sie zurück. Manchmal aber auch nicht. Ihre Köpfe sind rasiert und glänzen. Die Augen und Nasen sind rau und gerötet vom Weinen. Sie gucken Lyda an und sehen etwas anderes. Jemanden, der
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