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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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nicht. Sie liegen einfach nur da in ihren gestärkten grünen Uniformen und warten. Einer von ihnen hat eine steife Hand, bedeckt mit rotem Aluminium. Ein anderer hat einen Kopf, der mit Steinen verschmolzen ist. Ein dritter versteckt sich unter einer Decke. Pressia weiß, dass sie ebenfalls keinen schönen Anblick bietet – ihr vernarbtes Gesicht, die mit dem Puppenkopf verschmolzene Hand. Sie hat immer noch das Klebeband über dem Mund, und ihre Hände sind hinter dem Rücken gefesselt. Sie trägt ihre gewöhnliche Kleidung, sodass jeder gleich sehen kann, dass sie neu ist. Wenn sie könnte, würde sie die anderen fragen, worauf sie warten – aber will sie das wirklich wissen?
    Sie versucht still zu liegen wie sie. Sie versucht sich vorzustellen, was passiert ist, nachdem Bradwell und Partridge herausgefunden haben, dass sie weg ist. Sie würde gerne glauben, dass die beiden sich zusammengetan haben, um nach ihr zu suchen und sie zu befreien. Doch sie weiß, dass das Wunschdenken ist. Keiner der beiden kennt sie näher. Partridge ist ihr rein zufällig über den Weg gelaufen, und er hat seine eigene Mission. Sie fragt sich, ob Bradwell sie mag oder ob er sie in eine Schublade gesteckt hat. Es spielt keine Rolle. Es war völlig unnötig von ihm zu sagen, dass er nur überlebt hat, weil er sich nicht in die Probleme von anderen hat reinziehen lassen. Würde sie versuchen, ihn zu retten, wenn ihre Rollen vertauscht wären? Sie muss nicht lange überlegen – sie würde es versuchen. Die Welt, so grausam sie auch ist, scheint ihr mit Bradwell ein besserer Ort zu sein. Er leuchtet von innen, er ist voller Energie, er ist bereit zu kämpfen, und selbst wenn er nicht für sie kämpfen will, er hat die Kraft, die sie alle brauchen hier draußen außerhalb des Kapitols.
    Sie denkt an seine doppelte Narbe und das ärgerliche Flattern der Flügel in seinem Rücken. Sie vermisst ihn. Es ist ein plötzlicher, scharfer Schmerz in ihrer Brust. Sie kann es nicht verleugnen – sie wünscht sich, dass er sie auch vermisst und dass er nach ihr sucht. Sie hasst dieses Gefühl, wünscht, es würde vergehen, doch es lässt nicht nach. Sie muss diesen Schmerz wohl oder übel mit sich herumschleppen, eine unangenehme Erkenntnis. Die Wahrheit ist, dass er sie nicht suchen wird und dass Bradwell und Partridge sich viel zu sehr hassen, um sich irgendwie zusammenzutun. Ohne sie, Pressia, sagen sie sich wahrscheinlich sehr schnell Lebewohl und gehen getrennte Wege. Sie ist auf sich allein gestellt.
    Die harte Pritsche ist ordentlich bezogen, was Pressia vermuten lässt, dass es irgendwo eine Pflegerin geben muss. Pressia hat immer wieder von Krankenhäusern geträumt wie dem, in dem sie geboren wurde, Krankenhäusern, in denen man ihrem Großvater den Ventilator aus dem Hals entfernen kann oder ihre Hand operieren. Sie stellt sich vor, wie sie und ihr Großvater in einem Zweibettzimmer in Betten mit weißen Bezügen und dicken Kopfkissen liegen.
    Auf der Seite liegend kann sie mit der hinter dem Rücken gefesselten Hand an der Wolldecke zupfen, doch das ist mehr oder weniger alles. Manchmal denkt sie an Gott und versucht, zur Heiligen Wi zu beten, aber es funktioniert nicht. Das Gebet entgleitet ihr immer wieder.
    Die Beleuchtung flackert.
    Draußen fallen Schüsse.
    Die Wache kommt zur Tür und wirft einen Blick herein. Sie hält ein Gewehr in den Armen, wiegt es wie ein Baby, das nicht schlafen kann, als wäre irgendwo eine Entbindungsstation. Sie trägt die reguläre grüne Uniform der OSR, komplett mit Armbinde und aufgestickter Klaue.
    Pressia wird sich irgendwann rechtfertigen müssen. Sie weiß, dass die OSR nicht zimperlich mit denen umspringt, die sich nicht freiwillig stellen. Doch Pressias Widerstand hat zumindest eines bewiesen: dass sie zäh ist und sich durchzuschlagen weiß. Pressia ist sich ziemlich sicher, dass sie glaubhaft machen kann, dass sie sich beizeiten gemeldet hätte, doch sie muss sich um ihren Großvater kümmern. Das ist ein Zeichen von Solidarität. Die OSR schätzt Solidarität. Sie wird ihnen erzählen, was immer nötig ist, um am Leben zu bleiben.
    Doch sie hat auch gesehen, wie die OSR Leute aus ihren Häusern gezerrt und vor den Augen ihrer Kinder in Trucks verfrachtet hat. Sie hat gesehen, wie die OSR Leute auf der Straße erschossen hat. Sie fragt sich, wie Fandra gestorben sein mag, doch sie verdrängt den Gedanken wieder. Sie muss das vergessen.
    Die Wache kommt rein. Alle Gesichter wenden sich

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