Memento - Die Überlebenden (German Edition)
Bradwell.
Partridge nickt. »Er hat ihr das Herz gebrochen – und mir.« Das Geständnis hängt für einen winzigen Augenblick im Raum, bevor Partridge es abschüttelt. »Ich will zurück zu der alten Frau. Sie weiß mehr, als sie mir verraten hat.«
»Es ist inzwischen hell«, warnt Pressia. »Wir müssen vorsichtig sein. Lass mich zuerst einen Blick nach draußen werfen.«
»Ich gehe«, sagt Partridge.
»Nein«, entscheidet Bradwell. »Ich gehe. Ich gehe nachsehen, was die Jäger angerichtet haben.«
»Ich habe gesagt, ich gehe«, beharrt Pressia. Sie steht auf und streift sich Staub und Schutt von Kopf und Schultern. Sie will sich nützlich machen, sichergehen, dass Partridge ihren Wert begreift. Sie hat noch längst nicht aufgegeben.
»Nein. Es ist zu gefährlich!«, sagt Partridge, streckt die Hand aus und packt sie. Er erwischt sie am Handgelenk, zieht den Ärmel des Pullovers hoch, legt den Hinterkopf der Puppe frei. Er ist überrascht, doch er lässt nicht los. Stattdessen sieht er ihr in die Augen.
Sie dreht den Arm und zeigt ihm das Puppengesicht, das ihre Handfläche ersetzt.
»Das ist von den Explosionen«, sagt sie. »Du wolltest es wissen. Jetzt weißt du es.«
»Okay«, sagt Partridge.
»Wir tragen unsere Narben mit Stolz«, sagt Bradwell. »Wir sind Überlebende.«
Pressia weiß, dass Bradwell wünscht, es wäre wahr – doch das ist es nicht, jedenfalls nicht für sie.
»Ich gehe jetzt nach oben und sehe mich um«, sagt sie. »Keine Sorge, ich komme wieder.«
Partridge nickt und lässt sie gehen. Sie steigt die Stufen hinauf ins Licht und hält sich in der Deckung der eingestürzten Überreste der einstigen Kirche. Sie duckt sich hinter eine Mauer und späht hinaus auf die Straße. Vor dem Haus der alten Frau stehen ein paar Leute und reden leise miteinander. Die Plane vor dem Fenster ist verschwunden. Die Schalholzplatte vor der Tür ebenfalls. Die Leute gehen wieder.
Und dort auf dem Boden ist eine Blutlache, in der Glasscherben glitzern.
Pressias Augen brennen, doch sie weint nicht. Die Alte hätte nicht so laut und irre singen sollen, ist stattdessen ihr nächster Gedanke. Sie hätte damit aufhören sollen. Sie hätte es besser wissen müssen. Pressia spürt, wie ihr Mitleid in Verachtung umschlägt. Sie hasst es, wenn das geschieht. Sie weiß, dass es falsch ist, aber sie kann nichts dagegen tun. Der Tod dieser Frau muss ihr eine Lektion sein. Das ist alles.
Sie wendet sich ab.
Und plötzlich ist eine kalte Manschette um ihren Arm. Ein Grunzen, ein scharfes Luftholen. Sie wird gepackt und hochgehoben, und dann rennt jemand mit ihr los.
Zuerst denkt sie, es ist schon wieder Partridge oder vielleicht einer der Jäger vom Kesseltreiben. Aber nein. Sie hört einen Motor. Die OSR. Sie greift nach dem Messer, das Bradwell ihr gegeben hat. Legt die Hand um den Griff, zieht es aus dem Gürtel, doch eine Hand mit einem dunklen Metallfinger packt ihr Handgelenk mit solcher Macht, dass sie den Griff loslässt. Das Messer fällt klappernd zu Boden.
Die Hand mit dem Metallfinger legt sich auf ihren Mund. Sie versucht zu schreien, zu spät. Wie der Junge mit den Zehenstummeln in dem Raum über der geheimen Versammlung beißt sie in das fleischige Zentrum der Hand, wo die Haut weich ist. Sie hört einen Fluch und spürt, wie sich der Brustkorb ihres Häschers zusammenzieht, doch der Griff um ihren Körper wird nur noch fester. Ihre Zähne sind durch das Fleisch gegangen. Sie schmeckt Salz und Blut. Sie biegt den Rücken durch, tritt nach dem Häscher, versucht ihn mit der Puppenkopffaust zu treffen. Wissen Partridge und Bradwell, dass sie entführt wird? Werden sie sie suchen?
Sie versucht zu spucken. Sie spürt Wind im Haar. Sie hört den Motor. Sie blickt auf und sieht die Pritsche des Trucks. Sie sind gekommen, um sie zu holen. Sie weiß, dass sie verloren hat.
PARTRIDGE
Mund
Nach ein paar Minuten geht Partridge zum Eingang der Krypta und steigt die Stufen hinauf, um nach Pressia zu sehen. Warum braucht sie so lange? Es ist windig. Die Gegend liegt verlassen vor ihm, bis auf einen Fleck am Boden – eine frische Blutlache, übersät mit Glasscherben.
Er dreht sich zu Bradwell um, die Arme am Treppenschacht, ratlos. »Wo ist sie hin?«
»Was meinst du?« Bradwell schiebt sich grob an ihm vorbei und nimmt drei Stufen auf einmal. »Was zum Teufel meinst du?«
»Pressia!«, ruft Bradwell laut.
Auch Partridge ruft jetzt ihren Namen, obwohl er weiß, dass es unklug ist. Dass es
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