Memoiren 1902 - 1945
Olympische Dorf schon verlassen, sie waren ausgeflogen, in irgendein Tanzlokal. Der erste freie Tag nach wochenlanger Abstinenz. Die Japaner erklärten sich sofort bereit, für die Kamera noch einmal zu springen.
Morris fand seine Kameraden tatsächlich in einer Tanzdiele und schleppte sie zu uns ins Stadion. Sie waren nicht gerade begeistert. Wir bemühten uns um eine bessere Stimmung. Ich machte ihnen
Komplimente über Komplimente und versuchte sie aufzuheitern. Die Japaner warteten schon, ihr Lächeln schien mir unergründlich.
Sie alle haben schließlich mitgemacht - sie sind gesprungen. Und plötzlich bekamen sie Lust am Springen. Bald wurde ein nahezu echter Wettkampf daraus, und sie ereichten die gleichen Höhen wie am Tag zuvor. Es war fantastisch - wir bekamen herrliche Aufnahmen. Das Licht war ausgezeichnet - Zeitlupe, Nahaufnahmen, alles gelang perfekt. So wurde dieser Abend für mich einer der glücklichsten während der Arbeit an diesem Film.
Für seine Vermittlung bat sich Glenn Morris eine kleine Gefälligkeit aus. Er wollte mich nach den Spielen in meinem Schneideraum besuchen und die Aufnahmen sehen, bei denen er im Bild war. Das ließ ich zu, habe ihn aber sonst gemieden. Ich spürte, ich war in ihn verliebt, ging aber dagegen an. Ich wußte, er würde in die USA zurückkehren, und außerdem wehrte ich mich gegen emotionale Komplikationen.
Am Abend des 16. August erlebten die XI. Olympischen Sommerspiele ihren feierlichen. Ausklang. Flakscheinwerfer, die nach einer Idee Albert Speers rund um das Stadion aufgestellt waren, schlossen sich, senkrecht gegen den dunklen Himmel, strahlend zu einem grandiosen Lichtdom zusammen. Als dann langsam zu den Klängen der Richard Strauss-Hymne die Olympische Flamme erlosch und die dunklen Rauchschwaden nach oben stiegen, ertönte eine Stimme: «Ich rufe die Jugend der Welt nach Tokio.»
Wer hätte sich an diesem Abend vorstellen können, daß nur wenige Jahre später diese Scheinwerfer am Himmel über Berlin nach feindlichen Fliegern suchen würden und an den Flakscheinwerfern und in den Maschinen die Jugend sich befehdete, die hier so friedlich gekämpft hatte.
Die Kurische Nehrung
D ie Olympischen Spiele waren zu Ende, unsere Filmarbeit war es noch nicht. Willy Zielke, aus Griechenland zurückgekehrt, hatte für die letzten Aufnahmen zum Prolog einen besonderen Platz ausgewählt. Im entferntesten Osten Deutschlands, nahe der litauischen Grenze, schlug er an der Kurischen Nehrung sein Filmlager auf. Für seine besonderen Aufnahmen brauchte er Ruhe und Abgeschiedenheit, vor allem deshalb, weil die Mädchen, die die Tempeltänzerinnen darstellen sollten, unbekleidet waren, in damaliger Zeit im Film alles andere als alltäglich. Er wünschte sich keine Zuschauer. Auch benötigte er für diese Szenen weite, baumlose Sandflächen und sehr viel Himmel. Der Platz, an dem Zielke seine Baracken aufbauen ließ, war von Sandbergen umgeben. Man nannte ihn «Tal des Schweigens». Dort fand Zielke seine ideale Filmkulisse.
Noch während wir im Stadion arbeiteten, erhielt ich von Zielke ein Telegramm mit merkwürdigem Inhalt:
«Um ungestört arbeiten zu können, brauche ich einen Stacheldraht von mehreren Kilometern Länge, Gruß, Zielke.»
«Was für eine verrückte Idee», sagte Waldi Traut, mein Produktionsleiter, irritiert. Trotzdem gab er den Auftrag, den gewünschten Stacheldraht zu besorgen.
Um bei den wichtigsten Aufnahmen dabei zu sein, entschloß ich mich, nach Beendigung unserer Berliner Arbeit zur Kurischen Nehrung zu fahren. Einige meiner Mitarbeiter begleiteten mich. Wir konnten nicht geradewegs bis zu Zielke kommen, sondern mußten von Pillkoppen, einem kleinen ostpreußischen Fischerort, wo Fichtner uns abgeholt hatte, mit einem alten Motorboot unsere Reise fortsetzen. Wir tuckerten durch die Ostsee und blieben dabei einige Male auf Sandbänken stecken. Hier konnte nur unser Aufnahmeleiter Fichtner helfen, der dann ins Wasser sprang und viel Zeit und Kraft aufwenden mußte, um das Boot wieder flottzumachen.
Was er uns über die Arbeit mit Zielke erzählte, war nicht zum Lachen, es war beunruhigend und jagte mir einen Schrecken ein. Er berichtete, die Mädchen fürchteten sich vor Zielke, er hatte von ihnen verlangt, nach Einbruch der Dunkelheit ihre Zelte nicht mehr zu verlassen. Verständlich, denn im Lager befanden sich außer jungen Sportlern auch noch Beleuchter und Hilfsarbeiter, und er wollte
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