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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Heraussuchen außerordentlich schwierig und zeitraubend. Hier hatte ich glücklicherweise meine Frau Peters zur Verfügung, die das Wunder vollbrachte, jede einzelne Szene herauszufinden.
      Wenn jemand in den Schneideraum kam und etwa fragte, ob ich ihm den Sprung des italienischen Reiters, Leutnant Campello, zeigen könnte, wie er in der «Military» über den Dorfgraben sprang, warf ich einen Blick auf die Liste: «Military» war Komplex 70, «Dorfgraben» 2.2., in weniger als einer Minute konnte der Besucher sich die Rolle am Schneidetisch anschauen. Manche Filmfachleute hat dieses System verblüfft. Selbst Hitler, der uns ein einziges Mal überraschend mit einigen Begleitpersonen besuchte, staunte, als ich ihm alle gewünschten Aufnahmen zeigen konnte.

    Ein Graphologe

    P lötzlich fiel mir ein, daß uns vom Zehnkampf der nächtliche 1500Meter-Lauf fehlte. Unsere Linsen waren damals für solche Aufnahmen nicht lichtstark genug. Nun zählte aber der Zehnkampf neben dem Marathon- und dem 200-Meter-Lauf zu den wertvollsten Goldmedaillen der Leichtathletik, deshalb sollte er möglichst vollständig in meinem Film sein.
    Erwin Huber und der Tscheche Klein, die diesen Endlauf erreicht
    hatten, hielten sich noch in Berlin auf. So bestünde vielleicht die Möglichkeit, einige Szenen nachzustellen, aber nur, wenn auch Morris, der Sieger, auffindbar wäre. Wir brachten heraus, daß die amerikanischen Olympiateilnehmer noch nicht in die USA abgereist waren und sich in Stockholm an den schwedischen Leichtathletik-Meisterschaften beteiligten. Es gelang, Morris in Stockholm ans Telefon zu bekommen, und er erklärte sich auch sofort bereit, mitzumachen. Der Gedanke, ihn wiederzusehen, versetzte mich in starke Unruhe.
      Als wir Glenn Morris vom Flughafen abholten, mußten wir uns beide beherrschen, um uns nichts anmerken zu lassen. Aber gegen unsere Gefühle konnten wir nichts mehr machen. Sie wurden so stark, daß Morris nicht nach Schweden zu seiner Mannschaft zurückkehrte und ich mir einbildete, er sei der Mann, den ich heiraten könnte.
      Ich hatte völlig den Kopf verloren, so daß ich fast alles vergaß, sogar meine Arbeit. Noch nie hatte ich eine solche Leidenschaft erfahren. Dann kam der Tag von Morris’ Abreise, und mit Schrecken fiel mir ein, daß ich die Aufnahmen, die mit ihm gemacht werden sollten, vergessen hatte.
      Uns blieb nur noch eine Nacht. Am kommenden Tag sollte Morris mit seiner Mannschaft von Hamburg aus mit dem Schiff nach Amerika abreisen. Wir mußten endgültig Abschied nehmen. Morris bat mich, auf die Aufnahmen zu verzichten, aber das brachte ich nicht fertig. Es fiel mir unsagbar schwer, ihm diesen Wunsch abzuschlagen, aber die Vernunft war stärker als die Leidenschaft. In größter Eile ließ ich durch meine Mitarbeiter alles für die im Stadion zu drehenden Szenen vorbereiten. Wie das in dieser Nacht noch arrangiert werden konnte, war mir ein Rätsel - doch wir schafften es. Erst nach Mitternacht wurden wir mit den Aufnahmen fertig.
      Am frühen Morgen mußte Morris mich verlassen. Ein Gefühl großer Traurigkeit ergriff mich. Er durfte in New York als Zehnkampfsieger bei der Konfetti-Feier für die erfolgreiche Olympiamannschaft nicht fehlen.
      Aus der Presse erfuhr ich, daß Glenn Morris mit einer amerikanischen Lehrerin verlobt war. Das war der erste kleine Schock. Der nächste folgte bald. Ich bekam einen Brief von ihm. Als ich die Schrift sah, fiel er mir beinahe aus der Hand. Ich verstehe nichts von Graphologie, aber ich hatte ein ungutes Gefühl, als ich die merkwürdig verschlungenen Schriftzüge sah. Trotzdem schickte ich ihm viele Fotos, die ich von ihm gemacht hatte. Sie trugen entscheidend dazu bei, daß er in Hollywood für die Rolle des Tarzan engagiert wurde. Ich glaubte immer noch, ihn zu lieben.

      In Kämpen auf Sylt verbrachte ich einige Tage mit meiner Freundin Margot von Opel. Ein kurzer Urlaub, bevor ich mit der Arbeit im Schneideraum beginnen wollte. Wir saßen auf der Terrasse eines Cafés. Ein Graphologe ging von Tisch zu Tisch. Meine Freundin übergab ihm einen Briet und war frappiert über die richtige Deutung. Da fiel mir der Brief von Glenn Morris ein, den ich bei mir hatte. Der Mann betrachtete ihn kurz und sagte dann abrupt: «Den deute ich nicht.»
      «Warum?» fragte ich verwundert.
      «Das kann ich nicht.»
      Ich mußte den Mann lange bedrängen, und erst nachdem ich ihm einen größeren Geldschein gegeben hatte, ließ er sich

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