Memoiren 1902 - 1945
jeden Kameramann Zeit, um ihm seine Aufgaben für den kommenden Tag zuzuweisen. Diese Besprechungen endeten nie vor zwei Uhr nachts.
Skandal im Stadion
W as wir bei unserer Arbeit wirklich nicht gebrauchen konnten, waren Ärger und Schikanen. Wir bekamen reichlich davon - wieder einmal von Goebbels persönlich. Beim Hammerwerfen hatte Deutschland im Wettbewerb zwei heiße Medaillenanwärter auf zu weisen: Erwin Blask und Karl Hein. Wir hatten um den Hammerwurfkäfig eine Schiene legen lassen, um erstklassige Aufnahmen zu erhalten. Das Organisations-Komitee hatte sie genehmigt. Außerdem waren die Hammerwerfer selbst damit einverstanden.
Das dramatische Duell zwischen Blask und Hein sollte einer der Höhepunkte unseres Films werden. Gespannt beobachtete ich Guzzi Lantschner bei seinen Fahraufnahmen. Plötzlich lief ein deutscher Kampfrichter auf ihn zu, zerrte ihn von der Kamera weg, packte ihn am Arm und zog ihn vom Rasen. Da packte mich eine solche Wut, daß ich auf den Kampfrichter zulief, ihn am Jackett packte und anschrie: «Sie Schweinehund!» Der Mann starrte mich an und beschwerte sich sofort danach bei seinem Vorgesetzten.
Es dauerte auch nicht lange, bis mir ein Zettel übergeben wurde, ich sollte auf die Tribüne zu Goebbels kommen. Ich sah Böses auf mich zukommen. Der Minister erwartete mich schon außerhalb der Tribüne auf dem Gang und schrie hemmungslos: «Was erlauben Sie sich! Haben Sie den Verstand verloren! Ich verbiete Ihnen, von diesem Augenblick an, das Stadion noch einmal zu betreten! Ihr Benehmen ist ein einziger Skandal!»
«Wir hatten die Genehmigung», rief ich erregt, «auch von den Hammerwerfern. Der deutsche Schiedsrichter hatte überhaupt kein
Recht, den Kameramann vom Platz zu zerren.»
Mit eisiger Kälte entgegnete Goebbels: »Das ist mir ganz egal. Ich verbiete es Ihnen, Ihre Filmarbeit hier fortzusetzen», ließ mich stehen und ging zurück auf die Tribüne. Verzweifelt setzte ich mich auf die Stufen und heulte - es war unfaßbar, daß alles umsonst gewesen sein sollte.
Nach einiger Zeit kam Goebbels überraschend zurück und, etwas ruhiger geworden, sagte er schneidend: «Hören Sie auf zu weinen. Es gibt noch einen internationalen Skandal. Ich befehle Ihnen, sich sofort bei dem Kampfrichter zu entschuldigen.»
Notgedrungen ging ich hinunter und suchte den Kampfrichter. Als ich ihn fand, bat ich ihn um Verzeihung.
«Ich bedaure den Vorfall», sagte ich, «ich wollte Sie nicht beschimpfen - ich habe die Nerven verloren.» Der Kampfrichter nickte nur. Für mich war der Fall damit ausgestanden. Dieser Auftritt war nicht unbemerkt geblieben. Einige ausländische Zeitungen berichteten darüber in großer Aufmachung. Goebbels’ feindselige Haltung gegen mich war längst kein Geheimnis mehr.
Die Kämpfe wurden immer spannender. An der Tafel wurde die Entscheidung im 200-Meter-Lauf angekündigt, ein Höhepunkt der Olympischen Spiele. Im Stadion war es totenstill. Hunderttausend Menschen hielten den Atem an. Der schwarze Metcalfe bekreuzigte sich, bevor er zum Start niederkniete. Jesse Owens hatte die Innenbahn. Der Starter Miller in seinem weißen Mantel sah in unerschütterlicher Ruhe auf die in den Startlöchern knienden Läufer. Noch einmal überflog mein Blick hastig die Aufstellung der Kameraleute. Die Aufnahmen dieser fantastischen Konkurrenz mußten uns gelingen. Owens Beinmuskeln spannten sich. Dann peitschte der Startschuß durch die Stadionstille - ein ohrenbetäubendes Geschrei brach aus, das sich orkanartig steigerte -, Jesse Owens wurde der überlegene Sieger. Glücklich lächelnd ließ er seinen Blick über die ihm zujubelnden Menschen schweifen.
Es ist unmöglich, auch nur die wichtigsten Kämpfe hier nachzuzeichnen. Aber der Kampf Lovelocks ist mir im Gedächtnis haften geblieben. Er war der einzige Athlet, der Neuseeland bei den Spielen vertrat. Wie Lovelock sich den Sieg im 1500-Meter-Lauf und sogar in Weltrekordzeit erkämpfte, war ein sensationelles Ereignis. Ich habe diesen dramatischen Lauf ohne einen Zwischenschnitt in ganzer Länge in den Film hineingenommen. Was muß Lovelock, der als einziger beim Einmarsch der Nationen die Fahne seines Landes trug, empfunden haben, als er die Goldmedaille und den Lorbeerkranz erhielt.
Ganz anders mußte ich den 10 000-Meter-Lauf gestalten. Hier
konnte ich nur die dramatischen Höhepunkte zeigen, die Zeitabstände mußten durch Bilder aus dem Publikum überbrückt werden.
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