Memoiren 1902 - 1945
herumschwirrten, geschossen hatte.
Die Unterredung mit dem Leiter von Haar war deprimierend. Nach den ersten Beobachtungen zu schließen, lag hier ein besonders schwerer Fall von Schizophrenie vor. Ich wollte ihm nicht glauben und bat ihn, mich zu ihm zu führen. «Es ist unmöglich», sagte der Direktor, «Zielke weigert sich, irgendeinen Menschen zu empfangen - er will
weder seine Mutter noch seine Frau sehen.»
Ich war konsterniert. «Sie müssen alles veranlassen», sagte ich, «daß Zielke wieder gesund wird, er muß eine ganz besonders gute Pflege erhalten. Die Kosten übernehme ich.» Es wurde vereinbart, daß wir ständig über sein Befinden informiert werden. Die Nachrichten aus der Anstalt waren entmutigend. Später erhielten wir Briefe von ihm. Die Worte ergaben keinen Sinn, und die Buchstaben konnte nur lesen, wer die Schrift gegen das Licht hielt. Er hatte sie mit einer Nadel durch das Papier gestochen.
Es dauerte mehrere Jahre, bis ich Zielke das erste Mal besuchen durfte - meiner Erinnerung nach im ersten Kriegsjahr. Sein Ausdruck war abweisend, äußerlich fand ich ihn wenig verändert. Auf meine Worte reagierte er überhaupt nicht. Erst als ich fragte: «Würde es dir nicht Freude machen, eine Kamera in die Hand zu nehmen», murmelte er: «Keine Kamera - hier möchte ich bleiben - ich will hierbleiben, nimm mich nicht raus.» Er wurde ganz aufgeregt und ängstlich. Ich versuchte ihn zu beruhigen. «Du kannst zu mir kommen, ich werde dich betreuen.»
«Ich bin nicht krank - ich bin hier bei Gott.»
Dann bin ich noch einmal bei ihm gewesen, und fast alles wiederholte sich, wie bei meinem ersten Besuch. Erst im Kriegsjahr 1944 konnte ich ihn nach größeren Schwierigkeiten und Widerständen aus Haar herausholen, allerdings unter der Bedingung, daß ich durch meine Unterschrift die persönliche Haftung für ihn übernahm. Mit seiner Betreuung und Pflege wurde unser Fotograf, Rolf Lantin, betraut, der ihn zu uns nach Kitzbühel brachte. Wir bemühten uns alle um ihn und wünschten nur, daß er sich wieder für die Arbeit mit der Kamera interessieren würde. Aber er benahm sich immer noch zu seltsam.
Als ich im Dezember 1944 die letzten Aufnahmen für den «Tiefland »-Film in Prag machte, nahmen wir Zielke mit und ließen ihn im Studio einige Proben filmen, wie Titel und kleine Szenen mit Pflanzen und Gräsern. Bemerkenswerterweise beherrschte er die Technik noch einwandfrei, aber die Motive, die er aufnahm, zeigten Symptome seiner Erkrankung - sie waren extrem verfremdet.
Nach Kriegsende konnte ich meine Bemühungen für Zielke nicht fortsetzen. Ich hatte noch veranlassen können, daß er und eine Bekannte von ihm, die wir auch aufgenommen hatten und die ihn betreute, Geld bekamen, um zu seiner Mutter fahren zu können.
Was ich später von ihm hörte, hat mich sehr betrübt. Filmleute, die ihn während der Berliner Filmfestspiele gesprochen hatten, berichteten, Zielke soll behauptet haben, ich hätte ihn in die Irrenanstalt Haar bringen lassen und sogar veranlaßt, daß er dort kastriert wer
de. Noch leben einige meiner Mitarbeiter, die bestätigen können, was ich hier über ihn berichtet habe. Vor Jahren erfuhr ich, daß seine Bekannte, die wir in Kitzbühel aufgenommen hatten, seine Frau wurde.
Willy Zielke ist nicht der einzige, dem ich geholfen habe und der mich später so bitter enttäuschte. Aber für ihn, dessen Fähigkeiten mich immer fasziniert haben, um dessen «Stahltier» ich bei Goebbels so kämpfte, und den ich unter persönlicher Verantwortung aus der Nervenheilanstalt holte, gibt es eine Entschuldigung: Seine Krankheit, sein bemitleidenswertes Schicksal.
Im Schneideraum
V ier Monate hatten wir für das Anschauen und die Archivierung des Filmmaterials benötigt, bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von täglich zwölf bis vierzehn Stunden. Erst Anfang Februar 1937 konnte ich mit dem eigentlich schöpferischen Arbeitsprozeß, dem Schneiden der beiden Filme, beginnen. Von den ausgewählten 100000 Metern aus dem Gesamtmaterial waren 6000 Meter für die endgültige Form bestimmt. Ein scheinbar unlösbares Beginnen.
Man fragte mich in dieser Zeit oft, warum lassen Sie nicht andere das Material aussuchen, warum können nicht verschiedene Schnittmeister einige Komplexe schneiden, warum kann die Vertonung nicht ein anderer Regisseur übernehmen - dann könnte der Film einige Monate früher herauskommen. Für einen Laien, der keine
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