Memoiren 1902 - 1945
brachte es nicht übers Herz, Pabst diese tolle Chance zu vermasseln, er war mir dankbar, aber ich war wieder ohne Regisseur. Da erinnerte ich mich an Mathias Wieman, meinen Partner aus dem «Blauen Licht». Er hatte inzwischen mit seiner «Faust»-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Regietalent bewiesen.
Während dieser langwierigen Vorbereitungen rief mich Veit Harlan an und bat um eine Unterredung. Ich kannte ihn persönlich noch nicht. Bei seinem Besuch war er sehr nervös und machte einen depressiven Eindruck. Er kam sofort auf sein Anliegen: «Sie müssen mir helfen, Fräulein Riefenstahl - Sie sind meine letzte Hoffnung.» Dann erzählte er mir, Goebbels wolle ihn zwingen, einen antisemitischen Film über «Jud Süß» zu machen. Er habe alles versucht, sich diesem Auftrag zu entziehen, sich sogar freiwillig an die Front gemeldet, aber Goebbels habe dies als Sabotage ihm gegenüber bezeichnet und ihm befohlen, den Film zu machen.
Harlan tat mir leid. Ich kannte Goebbels zu genau und wußte, daß es besonders jetzt im Krieg keine Chance gab, sich ihm zu widersetzen. Ich mußte Harlan enttäuschen, ich konnte die Hoffnungen, die er in mich gesetzt hatte, nicht erfüllen. Ich war die Letzte, die ihm bei Goebbels hätte helfen können. Harlan dagegen war überzeugt gewesen, ich hätte ein freundschaftliches Verhältnis zu Goebbels und Einfluß auf ihn. Ungläubig schaute er mich an, als ich ihm über meine eigenen schweren Auseinandersetzungen mit Goebbels erzählte. Er war so verzweifelt, daß er von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. Ich versuchte ihn zu beruhigen und gab ihm den Rat, in die Schweiz zu gehen. «Sie dürfen den Film nicht machen«, bat ich ihn eindringlich.
«Sie werden mich als Deserteur erschießen. Was soll aus Kristina werden?»
Dieses Gespräch erwähne ich nur, weil ich vor einiger Zeit im Fernsehen eine Diskussion über den Film «Jud Süß» und Veit Harlan gesehen habe, in der einer seiner Kollegen in verächtlicher Weise behauptete, Harlan sei nicht gezwungen worden, «Jud Süß» zu machen, sondern hätte den Film nur aus Ehrgeiz gedreht.
Am 10. Mai 1940 brachte der Rundfunk in einer Sondermeldung die schon seit Monaten befürchtete Nachricht: Der Krieg im Westen hatte begonnen. Seit Monaten hatten wir in unerträglicher Spannung gelebt. Kaum jemand glaubte damals, daß es noch ein «Zurück» gab. Alle rechneten in Erinnerung an den Ersten Weltkrieg mit einem jahrelangen Kampf. Mit um so größerer Überraschung und Begeisterung wurden die Tag für Tag durchgegebenen Sondermeldungen der Wehrmacht aufgenommen. Holland kapitulierte schon fünf Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen. Zwei Wochen später Belgien und, was niemand für möglich gehalten hatte, nach weiteren siebzehn Tagen Frankreich. Als die ersten deutschen Truppen am 14. Juni Paris erreichten und der Wehrmachtsbericht auch die siegreiche Beendigung der Kämpfe in Norwegen meldete, läuteten drei Tage in Deutschland die Glocken. Ein Fahnenmeer wehte aus Fenstern und von den Dächern. Berlin befand sich in einem Taumel. Tausende, berichtete der Rundfunk, jubelten auf den Straßen Adolf Hitler zu. Auch ich schickte ihm ein Glückwunschtelegramm. Aber alle, die nun an einen baldigen Frieden glaubten, hatten sich geirrt. Noch waren die Kämpfe nicht beendet.
Obgleich die Franzosen schon kapituliert hatten, erklärte ihnen Mussolini den Krieg und ließ italienische Truppen in Südfrankreich einmarschieren. Eine wenig imponierende Aktion.
Im Schatten dieser Ereignisse mußten die in Spanien vorgesehenen «Tiefland»-Aufnahmen nach Deutschland verlegt werden. Anstatt der Pyrenäen wählten wir das Karwendelgebirge. Auf den Buckelwiesen in Krün bei Mittenwald wurde nach spanischen Motiven unser Filmdorf «Roccabruna», das Kastell und die Mühle, gebaut.
Als ich zum ersten Mal die Bauten besichtigte, bekam ich einen Schock. Den Architekten war ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen. Sie hatten das Dorf nicht nach dem angegebenen Kamerastandpunkt gebaut. Die Häuser standen so weit auseinander, daß es unmöglich war, die wichtige Dorftotale mit den Bergen im Hintergrund zu bekommen. Der sündhaft teure Bau war nicht verwendbar. Schlimmer noch als der Verlust von fast einer halben Million war die verlorene Zeit. Denn die sechs Wochen, die der Neubau erforderte, waren nicht mehr einzuholen. Es war schon Juli, und vor Einbruch des Winters mußten die Außenaufnahmen
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