Memoiren 1902 - 1945
Er fand sie in Salzburg, wo er sie in einem nahe gelegenen Zigeunerlager auswählte. Nach dem Kriege mußte ich verschiedene Prozesse führen, und während ich dies schreibe, wird in dieser Sache abermals verhandelt. Verantwortungslose Journalisten hatten behauptet, ich hätte die Zigeuner persönlich aus einem KZ-Lager geholt und sie als «Arbeitssklaven» benutzt. In Wahrheit war das Lager, in dem Dr. Reinl und Hugo Lehner, einer meiner Aufnahmeleiter, unsere Zigeuner auswählten, zu dieser Zeit kein KZ-Lager. Ich selbst konnte nicht dabei sein. Ich befand mich noch in den Dolomiten auf Motivsuche.
Die Zigeuner, Erwachsene wie Kinder, waren unsere Lieblinge. Wir haben sie nach dem Krieg fast alle wiedergesehen. Die Arbeit mit uns sei die schönste Zeit ihres Lebens gewesen, erzählten sie. Niemand
hatte sie zu diesem Bekenntnis veranlaßt.
Während wir in Krün arbeiteten, hatte ich Dr. Fanck mit Dr. Grzimeks Hilfe betraut, die Wolfspassagen in den Dolomiten aufzunehmen. Als wir uns nach einem Monat die Aufnahmen in einem Kino in Mittenwald ansahen - Fanck hatte zehntausend Meter Film verdreht -, sah ich, daß bis auf zwei Einstellungen alles unbrauchbar war. Fanck hatte aus übergroßer Vorsicht den Wolf aus zu großer Entfernung aufnehmen lassen. Der Wolf hätte auch eine Katze sein können. Ich war außer mir. Es kam aber noch schlimmer.
Ein paar Tage später telegrafierte unser Aufnahmeleiter: «Der Wolf ist tot, Grzimek verzweifelt - müssen Aufnahmen abbrechen.» Wir waren ratlos. Pedros Kampf mit dem Wolf war eine der Hauptszenen des Films. Dr. Grzimek trauerte um seinen «Dschingis», wie er ihn nannte. Das Tier hatte zu gierig gefressen und war daran erstickt. Uns blieb nichts anderes übrig, als einen neuen Wolf zu suchen.
«Roccabruna» war inzwischen zu einer Touristen-Attraktion geworden. Immer mehr Besucher störten unsere Arbeit, auch wurden wertvolle Requisiten wie schmiedeeiserne Lampen, Gitter und alte Krüge aus dem Dorf gestohlen, welche die Architekten aus Spanien mitgebracht hatten. Es blieb nichts übrig, als Polizeischutz anzufordern. Und als wir eines Morgens erwachten, lag Schnee auf den Bergen. Glücklicherweise ließ ihn ein Wärmeeinbruch rasch schmelzen.
Da gab es eine neue Überraschung. Als unsere Sarntaler Bauern zur Aufnahme erschienen, waren sie nicht wiederzuerkennen. Sie hatten ihre prachtvollen Bärte abrasiert und genossen unsere entsetzten Gesichter. Sie wollten nicht länger in Krün bleiben, sondern daheim bei den Erntearbeiten helfen, was wir ihnen auch versprochen hatten. Durch die anhaltenden Schlechtwettertage waren wir in Verzug geraten. Nachdem ihr Bitten, sie abreisen zu lassen, nichts half, hatten sie sich diese List ausgedacht, aber unseren Aufnahmeleiter unterschätzt. Sie bekamen neue Bärte vom Maskenbildner angeklebt. Mir taten sie leid, und ich ließ die meisten ziehen mit der Bitte, uns ganz eilig «Ersatzbauern» zu schicken. Mit dem Ergebnis, daß doppelt soviel kamen, als wir gebraucht hätten.
Für eine Reitszene benötigten wir ein Pferd und für Minetti, der sich von seinen Theaterverpflichtungen nicht freimachen konnte, ein Double. Unser Aufnahmeleiter hatte schon alles in die Wege geleitet, ich sollte mich nur noch persönlich bei General Dietl, dem Kommandeur von Narvik, bedanken, der uns Pferd und Reiter zur Verfügung gestellt hatte. Als ich vor der Kaserne in Mittenwald ankam, stand dort ein dunkles, rassiges Pferd. Ein Offizier hielt es am Zügel, er sollte Minetti in seiner Reitszene doubeln. Ich glaubte meinen Au gen nicht zu trauen: Es war der Mann, der mich im Zug so lange angestarrt hatte. Wieder trug er eine lässig hängende Pelerine, eine schief sitzende Mütze, und wieder kam mir sein Ausdruck verwegen vor. Ohne erkennen zu lassen, was in mir vorging, gab ich ihm die Hand. Auch er verriet durch nichts, daß er mir schon einmal begegnet war. Nach ein paar höflichen Worten verabschiedete ich mich.
War diese Begegnung nur ein Zufall? Irgendwie spürte ich eine Gefahr auf mich zukommen. Ich wollte alles tun, um diesem Mann aus dem Wege zu gehen. Nur nicht noch einmal mitmachen, was ich vor elf Jahren erlebte, als mich Hans Schneeberger verließ. Das hatte ich mir geschworen.
Bevor wir die Reitszenen filmten, hatte ich Näheres über den Offizier erfahren. Er hieß Peter Jacob, war Oberleutnant bei den Gebirgsjägern, aktiver Soldat aus dem 100 000 Mann-Heer und vom ersten Tag des Krieges an im
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