Memoiren 1902 - 1945
Verweigerung zu überzeugen. Es ist ein Wahnsinn, auf Frauen und Kinder zu schießen.»
Das waren Hitlers Worte. Würde sie mir ein Dritter berichten, hielt ich sie für unglaubhaft. Aber ich schreibe die Wahrheit, so schwer es mir auch fällt. Nachkommen der Millionen Opfer Hitlers müssen diese Worte wie ein Hohn klingen. Vielleicht aber ist diese Episode ein Beitrag zum Verständnis seines schizophrenen Wesens.
Bevor ich Danzig verlassen konnte, hörte ich noch im Artushof am Langen Markt eine Rede Hitlers, in der er versuchte, seinen Krieg gegen Polen zu rechtfertigen. Er sprach über die Mißhandlungen der Deutschen in Polen, die sich seit dem Tod des Marschall Pilsudski ins Unerträgliche gesteigert hätten, dann beschuldigte er England, Polen in den Krieg getrieben zu haben, und beschwor leidenschaftlich seinen Friedenswillen. «Niemals», sagte Hitler, «hatte ich die Absicht, mit Frankreich oder England Krieg zu führen - wir haben im Westen keine Kriegsziele.»
Nach meiner Rückkehr aus Danzig brachte der Rundfunk die Nachricht von der Besetzung Warschaus. Durch Udet, inzwischen Generalluftzeugmeister der Luftwaffe, bot sich mir die Gelegenheit, mit einer Militärmaschine nach Warschau zu fliegen. Dort wollte ich meine Mitarbeiter treffen. Sie waren gesund und überzeugt, der Krieg werde in kurzer Zeit aus sein. Erstaunlich war, was sie mir über die ersten Unstimmigkeiten zwischen der deutschen und der russischen Armee erzählten. Telefongesprächen deutscher Offiziere hatten sie entnehmen können, daß die Russen Gebiete beanspruchten, die deutsche Truppen in Galizien erobert hatten. Es handelte sich dabei um Öl. Die Wehrmachtsführung protestierte, aber auf persönlichen Befehl Hitlers mußten die deutschen Generäle grollend der Roten Armee weichen. Nach dieser Entscheidung Hitlers wurden die Fähnchen, die auf der großen Landkarte im Hauptquartier des Heeres die Frontlinien markierten, zurückgesteckt. Einer unserer Kameraleute
hatte das zu filmen. Dabei hörte er einen Offizier fluchend sagen: «Deutsche Soldaten haben diese Gebiete mit ihrem Blut erobert. Nun schenkt Hitler dieses Land den Russen.»
Am nächsten Tag fand in Warschau ein Vorbeimarsch der kämpfenden Truppen vor Hitler statt. Sepp Allgeier und die Brüder Lantschner filmten ihn. Ich stand neben Allgeier in Hitlers Nähe und erlebte, wie die vorbeimarschierenden Männer ihn wie hypnotisiert anschauten. Sie erschienen mir ausnahmslos bereit, alles für Hitler zu tun, wenn er es befehlen würde, auch für ihn zu sterben.
Seit diesen Erlebnissen in Polen war ich nie wieder an irgendeiner Front und habe auch niemals irgendwelche Kriegsaufnahmen gemacht.
Noch einmal «Tiefland»
I n Berlin stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß die Filmindustrie trotz des Krieges fast wie in Friedenszeiten produzierte. Aber eine «Penthesilea» hätte keine Chance gehabt, der Aufwand war zu groß. Goebbels kam es jetzt in erster Linie auf patriotische Stoffe und Unterhaltung jeder Art an, um die Zuschauer einerseits auf das Ziel des Krieges auszurichten, andererseits von ihren Sorgen abzulenken.
Im «Film-Kurier» las ich, die «Tobis» beabsichtige «Tiefland» zu drehen. Das elektrisierte mich. An diesem Film hatte ich ja schon vor Jahren gearbeitet, aber ich hatte ihn abbrechen müssen. Sollte ich das Projekt von neuem aufgreifen? Manches sprach dafür, manches dagegen: Dafür, daß dieses Thema nichts mit Politik und Krieg zu tun hatte und, wie ich damals glaubte, eine leichte, nur wenige Monate dauernde Arbeit sein würde. Dagegen, daß ich die innere Beziehung zu diesem Stoff nicht mehr besaß. In jedem Fall aber schien es mir besser, «Tiefland» zu verfilmen, als einen Propaganda- oder Kriegsfilm machen zu müssen. Dieser Verpflichtung hätte ich mich kaum entziehen können. Die Macht von Goebbels hatte sich durch den Krieg nur verstärkt.
Hätte ich nur geahnt, welche unüberwindlichen Schwierigkeiten dieser Film mit sich bringen würde! Mehr als zwanzig Jahre vergingen, bis «Tiefland» endlich herauskommen konnte. Niemand hat diese Entwicklung voraussehen können. Krieg, Krankheit und eine fast zehnjährige Beschlagnahme des Materials waren die Ursache. Die Geschichte dieses Films, eine Odyssee, wäre für sich allein schon ein Filmstoff.
Am Anfang sah alles noch gut aus. Die Herren der «Tobis» wa ren begeistert. Der Vertrag, den Direktor Lehmann mit mir abschloß, sah vor, meine Firma sollte
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