Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
Vom Netzwerk:
Gunzesried ankamen.
      In dieser herrlichen Allgäuer Landschaft verlebten wir unvergeßliche Tage. Jaeckel machte Radierungen für eine neue Bibelausgabe, mich zeichnete er in allen möglichen Posen. Durch ihn lernten wir einen Schmuckhändler aus Schwäbisch-Gmünd, einen kleinen, etwas molligen Mann, kennen. Er besaß ein motorisiertes Dreirad, mit dem er nach Stuttgart fahren wollte. In Esslingen, nicht weit davon, lag das frühere königlich-württembergische Gestüt Weil, und da ich noch immer eine Pferdenärrin war, überredete ich den Juwelierhändler, uns mit Umweg über Esslingen nach Stuttgart mitzunehmen. Über Herthas Bedenken, daß unsere Rückfahrkarten ab Lindau und nicht ab Stuttgart gingen, machte ich mir keine Gedanken.
      Nach einem herzlichen Abschied von Jaeckel saßen wir zu dritt in dem Dreirad und fuhren knatternd los. Das erste Mal, daß ich an einem «Volant» Platz nahm, wenn man das Gefährt auch kaum ein Auto nennen konnte. Es war ein komisches Vehikel, oben und an den Seiten offen, aber es fuhr doch ganz schön schnell dahin. Unser Gönner ließ sich überreden, mir das Fahren beizubringen, und zeigte mir Gas, Bremse und Kupplung. Das machte mir riesigen Spaß. So passierten wir eine Reihe von Dörfern. Manchmal kam ich Enten und Hühnern zu nahe, die dann kreischend davonflogen. Die arme Hertha auf dem Hintersitz muß Angstzustände gehabt haben.
      Die Zeit verrann wie im Flug. Bald kletterten wir, schon in Esslingen, einen steilen Serpentinenweg hinauf, der zum Gestüt Weil führte. Man empfing uns verwundert, denn üblicherweise wurde ein Besuch vorher gemeldet, als man aber feststellte, daß ich mich in der Abstammung dieser Vollblüter auskannte, durften wir das Gestüt besichtigen. Es lag auf einem Hügel, und die herrlichen Pferde grasten auf den Weiden.
      Lange bleiben konnten wir nicht, da wir in Stuttgart den Zug noch erreichen wollten. Unser Schmuckhändler überließ mir wieder das Steuer. Der Weg war steil und schmal und durch die vielen Serpentinen unübersichtlich. Ohne Fahrkenntnisse war es ziemlich leichtsinnig, mich den steilen Weg hinunterfahren zu lassen. Da kam uns von der unteren Kurve ein Ochsengespann entgegen. Erschrocken versuchte ich zu bremsen - nur nicht in die Ochsen hineinfahren, war mein letzter Gedanke. Ich riß das Fahrzeug nach rechts und schrie: «Hertha, rausspringen!»
      Dann gab es einen gewaltigen Ruck, und ich hechtete die Bergwiese hinunter. Als ich nach oben schaute, sah ich, daß sich der Kühler in die Erde gebohrt hatte und die Hinterräder sich in der Luft drehten. Daneben stand der Besitzer, der seine Taschenuhr ans Ohr hielt und immer wieder mit matter Stimme sagte: «Die geht nicht mehr.» Hertha lag gefährlich nahe dem total zerstörten Vehikel, aber bis auf ein paar blutige Kratzer war ihr nichts passiert. Der Mann tat mir schrecklich leid. Irgendein fremdes Auto nahm uns auf und brachte uns zum Stuttgarter Bahnhof. Dort mußte ich den fremden Autofahrer für zwei Bahnsteigkarten anpumpen.
      In einem leeren Abteil II. Klasse fanden wir Platz. Als der Schaffner kam, um unsere Fahrkarten zu kontrollieren, zeigte ich ihm unsere Bahnsteigkarten. Hertha war nur noch ein Wasserfall. Vor Schluchzen kaum verständlich, erzählte ich dem Schaffner, wir hätten unsere Karten verloren und uns mit unserem letzten Geld die Bahnsteigkarten gekauft. Er sah uns mitleidsvoll an und sagte zu unserer großen Erleichterung, wir dürften im Zug bleiben - er werde seinen Kollegen, der ihn bald ablösen würde, informieren, daß wir unbeschadet bis nach Berlin fahren könnten.
      Zu Hause gelang es uns, mit allerlei Hilfe nach Warnemünde zu kommen. Wir hatten uns die Ostsee gewählt, um dort nach den aufregenden Abenteuern eine ruhigere Zeit zu verbringen. Wir waren viel im Wasser, lagen in der Sonne, und wenn diese nicht so herunterbrannte, trainierte ich am Strand. Ich hatte mir ein Ziel gesetzt: Im Herbst wollte ich in einem Konzertsaal auftreten, es sollte allerdings nur eine Probe sein. Ich wollte meinen Vater bitten, mir diesen Abend zu finanzieren. Zwei Jahre hatte ich erst - die Grimm-Reiter-Schule nicht eingerechnet - trainiert. Zwei bis drei weitere Jahre wollte ich weiterstudieren, aber ich hätte doch schon jetzt gern gewußt, wie ich beim Publikum ankäme und woran ich noch am meisten zu arbeiten hätte.
      Bei meinen Übungen am Strand wurde ich andauernd von einem jungen Mann beobachtet. Er hatte dunkles Haar und ein

Weitere Kostenlose Bücher