Memoiren 1902 - 1945
wo?»
«Ich bin sehr eigenwillig und mache oftmals nicht das, was andere von mir verlangen - auch bin ich recht undiplomatisch.»
«Wie meinen Sie das.»
«Oft reizt es mich, Dinge zu sagen, die Leute nicht gern hören.»
«Das sieht man Ihnen aber nicht an - Sie wirken eher sanft.»
Dann kamen wir auf das Theater, auf das Tanzen und meine zukünftigen Pläne zu sprechen.
«Wie stellen Sie sich Ihre Laufbahn vor?»
«Ich werde Tänzerin.»
«Und wie und wo wollen Sie tanzen?»
«So wie die Impekhoven, die Gert, die Wigman. In Konzertsälen und auf Bühnen.»
«Haben Sie einen reichen Freund, der das finanziert?»
Ich lachte: «Dazu brauche ich keinen reichen Freund - ich werde es auch so schaffen.» Lächelnd unterbrach er mich.
«Sie kleines Fräulein, Leni Riefenstahl - so heißen sie doch? - erscheinen mir sehr naiv. Sie brauchen einen reichen Freund, ohne den können Sie nie etwas erreichen. Niemals.»
«Wetten wir», sagte ich.
«Ja, wetten wir», sagte er und versuchte, mich zu umarmen. Ich entzog mich ihm, stand auf und ging Richtung Tür.
«Schade», sagte ich, «hatte mich darauf gefreut, mit Ihnen zu plaudern.»
Er versuchte, mich zurückzuhalten, aber ich ging schnell hinaus. Bevor ich die Türe schloß, rief ich ihm zu: «Zu meinem ersten Tanz
abend erhalten Sie eine Einladung- das verspreche ich Ihnen. Auf Wiedersehen!»
Diese Einladung hat er erhalten - ein halbes Jahr später.
Ein Film über Einstein
W ährend meiner Tanzausbildung mußte ich einige Male eine größere Pause machen. Dreimal hatte ich mir die Füße gebrochen. Das erste Mal glitt ich nach einer Ballettstunde auf einer Orangenschale aus; ich konnte nicht mehr aufstehen und mußte in eine Klinik gebracht werden - der rechte Knöchel war gebrochen. Aber schon nach drei Wochen konnte ich wieder tanzen. Das zweite Malheur ereignete sich ein halbes Jahr später. Beim Heimweg vom Bahnhof, im Dunkeln, trat ich im Wald in ein Erdloch; diesmal war es der linke Knöchel. Der dritte Unfall erwies sich als schlimmer. Der Fußboden meines Schlafzimmers war einen Tag vorher frisch gestrichen worden. Um ihn nicht zu berühren, versuchte ich von meinem Bett mit einem Riesensprung die Diele zu erreichen; das Bett rutschte nach hinten, ich verlor das Gleichgewicht und sprang schief auf. Nun war der Mittelfußknochen an der Reihe, und sechs Wochen mußte ich mit dem Training aussetzen. Die Schmerzen spürte ich noch Jahre später.
In dieser Zeit erzwungener Ruhe wurde Lesen meine Hauptbeschäftigung. Es waren nicht mehr Märchen, nun verschlang ich Jack London, Conan Doyle, Zola, Tolstoi und Dostojewski. Mein Lieblingsschriftsteller aber war Balzac. Seine «Eugenie Grandet» habe ich mehrere Male gelesen. Sein Stil war wie der Pinselstrich eines genialen Malers. Menschen und Räume, die er beschrieb, sah ich lebendig vor mir. Daneben haben mich die Romane der beiden großen Russen, Tolstois «Krieg und Frieden» und Dostojewskis «Brüder Karamasoff», auch tief beeindruckt.
Durch das Lesen angeregt, veranstaltete ich im Elternhaus spiritistische Sitzungen, die, wie mir meine Freundinnen versicherten, sehr stimmungsvoll gewesen sein müssen. Das Zimmer war mit Kerzen spärlich beleuchtet, und wir saßen, uns an den Händen fassend, um einen runden Tisch. Angeblich soll sich der Tisch bewegt und gehoben haben, was meine Freundinnen noch heute glauben. Ich glaubte es nicht und erwähne dies nur, weil ich mich später nie mehr auf Spiritismus eingelassen habe, obwohl mich Mystik immer anzog.
Ähnlich stand es mit meinen Beziehungen zu Astrologie, Handlesen und Kartenspielen. Es widersprach meiner Natur, Entscheidun
gen nach Wahrsagungen oder Horoskopen zu treffen, denn für die Richtigkeit solcher Deutungen gibt es keine Sicherheit. Ich ziehe es vor, meiner inneren Stimme zu folgen und die Verantwortung allein zu tragen. Auch aus Lotteriespielen und Wetten habe ich mir nie etwas gemacht. Wo der Zufall entscheidet, passe ich.
In dieser Zeit sah ich in einem Kino am Nollendorfplatz einen Film über Albert Einstein und seine Relativitätstheorie: Absolutes Neuland, das für mich zu einer wichtigen Entdeckung wurde. Ich glaube, nicht zu übertreiben, wenn ich sage, daß von der Stunde an, da ich mich mit dieser Theorie auseinanderzusetzen begann, sich mir vieles anders darstellte. Ich erlebte eine Erweiterung meines Bewußtseins. Für meine Gedankenwelt war
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