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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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nahezu fünfzig Grad.» Wir begannen zu stöhnen, ließen die Köpfe hängen, einige legten sich auf den Fußboden - das Publikum schrie und amüsierte sich toll. Inzwischen hatte ich mit verschiedenen der «Hypnotisierten» durch Augensprache und Mimik Fühlung aufgenommen und dabei festgestellt, daß alle nur aus Jux mitmachten. Keiner handelte in Hypnose.
      Der Meister war selig, daß alles so nach seinem Sinn klappte. Ich hatte inzwischen mit ihm einen leisen Kontakt aufgenommen, ihm zugezwinkert und ihm ins Ohr geflüstert: «Lassen Sie mich tanzen, ich kann es.»
      Er verstand, ahnte aber nicht, was ich im Sinn hatte. Er ließ einen Tusch blasen, trat zur Rampe und verkündete: «Meine Damen und Herren, jetzt werden Sie die Kraft meiner hypnotischen Fähigkeiten an einem ungewöhnlichen Beispiel erleben. Ich werde eine der jungen Damen hypnotisieren, daß diese Ihnen einen Tanz vorführen wird, als wäre das ihr Beruf.»
      Bewegung im Publikum. Er nahm mich an der Hand, führte mich in die Mitte der Bühne - ich schlug die Augen nieder, und er rief der Kapelle zu: «Los, den Walzer von Strauß.»
      Als die Musik ertönte, begann ich mich langsam wie in Trance zu bewegen, mich dann im Tanz zu wiegen, steigerte mich und machte Drehungen und Sprünge, die nur eine Ballettänzerin ausüben kann das Publikum war aufgestanden und klatschte wie verrückt, noch bevor die Musik aufhörte. Ich verbeugte mich, immer wieder, blieb aber auf der Stelle stehen. Mein Entschluß war, das Publikum aufzuklären, denn es hätte mich geärgert, daß der Zaubermeister die Leute so an der Nase herumführte. Als der Applaus abebbte, rief ich ins Publikum: «Meine Damen und Herren, es tut mir sehr leid, aber ich
muß Ihnen eine große Enttäuschung bereiten. Was Sie auf der Bühne gesehen haben, ist alles ein großer Schwindel...»
      Weiter kam ich in meiner Ansprache nicht, denn der Neger zerrte mich von der Bühne in einen danehenliegenden Garderobenraum. Ich hörte nur noch das Schreien der Leute, Protestrufe - aber auch Klatschen, dann sah ich den «Meister» auf mich zustürzen, ich dachte, er würde mich erschlagen. Was geschah aber? Er schüttelte mir die Hände und sagte: «Mädchen, Sie waren wunderbar - Sie müssen mit mir arbeiten, ich möchte Sie engagieren!»
      Zwischendurch lief er immer wieder auf die Bühne, verneigte sich - ich wußte nicht, warum und was er dem Publikum gesagt hatte, mir schwirrte der Kopf - denn genau das Gegenteil hatte ich erreichen wollen. Nichts wie an die frische Luft, dachte ich. Es gelang mir, in dem Tumult aus dem Raum zu laufen, und als ich Hertha fand, flüsterte sie mir zu: «Leni, das hast du toll gemacht.»
      Die größte Überraschung erwartete uns aber daheim. Der Professor, bei dem wir wohnten, war auch in der Vorführung gewesen. Wir konnten ihn nicht überzeugen, daß wir nicht hypnotisiert waren. Er glaubte felsenfest, daß wir immer noch unter Hypnose des Magiers standen.

    Inflation

    D er nächste Morgen brachte uns eine böse Überraschung. Die Inflation hatte uns in den Fängen - unser Geld war keinen Pfennig mehr wert. Der Professor und seine Frau teilten mit uns ihr karges Essen. Wir durften, ohne zu zahlen, bei ihnen bleiben. Aus Angst, sofort heimfahren zu müssen, wagten wir nicht, unsere Eltern um Geld zu bitten. Zum Glück befanden sie sich im Urlaub.
      Auf dem Schreibtisch des Professors entdeckte ich ein Dutzend Postkarten. Mit einigen Farbstiften zeichnete ich Bodensee-Landschaften, die ich den Besuchern in den Gartenrestaurants zum Kauf anbot. Ich weiß nicht mehr, ob die Papierscheine, mit denen in diesen Tagen gezahlt wurde, einen Wert von Millionen oder Billionen hatten. Ich weiß nur noch, daß die Scheine, die ich für meine «Kunstkarten» kassierte, nicht einmal für eine warme Mahlzeit langten.
      Da sahen wir plötzlich zwei Männer vor uns, denen wir fast um den Hals fielen: Meinen Freund Willy Jaeckel, den ich von der Berliner Sezession kannte, und Nuschka, auch ein Maler. Sie waren nur für ein paar Stunden nach Lindau gekommen, um etwas Geld aufzu treiben. Jaeckel hatte in Gunzesried im Allgäu ein Sommerhaus, in dem er einen Malkurs abhielt. Geld konnten auch sie uns nicht geben, aber Jaeckel meinte, in Gunzesried könnten wir gut leben. Er habe gerade für ein Bild einen Riesenkäse bekommen, und Brot und Milch seien dort leicht zu haben. Er hatte gerade noch so viel Benzin in seinem Wägelchen, daß wir bald darauf sicher in

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