Memoiren 1902 - 1945
des Wolfes spüren und von Unruhe befallen werden. Der Versuch dieser Aufnahme mißlang. Durch keinen Lärm waren die Schafe zu bewegen, erschreckt zu sein. Sämtliches Kochgeschirr hatten wir aus der Hütte verteilt und daraus ein ohrenbetäubendes Orchester gebildet. Sogar die Schüs se aus einem Schrotgewehr blieben ohne Wirkung. Da kam Hans Steger auf den Gedanken, einen Sprengmeister zu engagieren, um durch eine Detonation das Erschrecken der Tiere endlich zu erreichen.
Der beste italienische Sprengmeister der Gegend wurde verpflichtet, ein Mann, der seinen Beruf seit vielen Jahren ohne einen Zwischenfall ausgeübt hatte. An einem frühen Morgen bei wolkenlosem blauen Himmel und strahlender Sonne war alles aufnahmebereit. Sobald der Sprengmeister das Zeichen gab, sollten drei Kameraleute drehen. In Nähe der Schafherde hatte er die Sprengladung auf einem kleinen Grashügel vergraben. Alle Augen richteten sich auf ihn. Er hatte sich eilig von dem Grashügel entfernt, gab das Zeichen, und die Kameras surrten, aber es erfolgte keine Explosion. Da sah ich erschrocken, wie der Mann zu der Stelle lief, an der er das Dynamit vergraben hatte, und in dem Augenblick, als er sich bückte, explodierte die Ladung. Entsetzt sah ich, wie er sich mit seinen Händen an den Hals griff, aus dem ein Blutstrahl herausspritzte. Jede Hilfe kam zu spät, der Mann verblutete in wenigen Sekunden.
Wir waren nicht imstande weiterzuarbeiten und unterbrachen die Aufnahmen für einige Tage. Dieses Unglück hatte uns schwer getroffen. Dann begannen wir mit den Adleraufnahmen, die auch sehr schwierig waren, da dieser große prachtvolle Vogel nur fliegen konnte, wenn er genügend Wind hatte. Hob er sich dann aber in die Lüfte, so war das ein unvergleichlicher Anblick. In Sekunden war er nur noch als Punkt über den Berggipfeln zu sehen. Faszinierend war es auch, wenn der Adler in nur wenigen Sekunden vom Himmel auf den künstlichen Hasen stürzte, den der Falkner ihm zuwarf. Unglücklicherweise hatten junge Burschen von unseren drei Adlern zwei mutwillig abgeschossen.
Als wir mit allen Aufnahmen in den Dolomiten fertig waren, ging auch Peters Urlaubszeit zu Ende. Auch diese gemeinsame Zeit war nicht frei von Spannungen. Dieses Mal gab ich meiner Arbeit die Schuld. Merkwürdig war es festzustellen, daß zwischen dem Inhalt von Peters Briefen und seinem Verhalten hier bei mir Welten lagen. Er wurde für mich immer mehr zu einem Rätsel, das ich zu lösen suchte.
Vor seiner Abreise, zufällig der Tag meines Geburtstags, steckte er mir einen schmalen goldenen Ring an den Finger und sagte: «Jetzt bist du auch offiziell meine Braut.»
Verdutzt sah ich ihn an, daran hatte ich nie gedacht. Trotzdem gefiel mir dieser Einfall. «Und wo ist dein Ring?» fragte ich. Peter sah mich überrascht an und sagte dann unbekümmert: «Den müßte ich noch besorgen.»
Wir stiegen zu einer Berghütte hinauf, um etwas auszuruhen. Dies waren die ersten Stunden, in denen wir allein waren, und der Tag meiner Verlobung. Peter blieb aber nicht bei mir, sondern unterhielt sich stundenlang mit dem ihm unbekannten alten Hüttenwirt, spielte mit ihm Karten und trank dabei ein Bier nach dem anderen, bis es dunkel wurde. Ich fühlte mich verletzt, und neue Zweifel überfielen mich. War das der Mann, der mir die wunderbaren Briefe schrieb?
Ich konnte keine Antwort finden.
Der totale Krieg
N ach meiner Rückkehr erlebte ich in Berlin den Krieg in seiner ganzen Unerbittlichkeit. Die Luftangriffe richteten schwere Schäden an, es starben immer mehr Menschen. Der Kampf um Stalingrad hatte begonnen, und an ein Ende dieses Krieges war nicht zu denken.
Auch Peters Nachrichten von der Eismeerfront waren deprimierend. In seinem ersten Brief berichtete er, einen Tag vor seiner Rückkehr hätten die Russen zwei seiner Stützpunkte erobert und alle Soldaten und Offiziere umgebracht, sogar die Verwundeten wurden getötet. Ein einziger deutscher Soldat hatte das Massaker überlebt.
Auch mein Bruder kämpfte jetzt an der Ostfront - zeitweise sogar in einer Strafkompanie. Sein bester Freund, der auch in der Firma meines Vaters tätig war, hatte ihn denunziert, weil er angeblich auf dem Schwarzen Markt Fleisch kaufte und sich abfällig über Hitler geäußert haben sollte. Ich war verzweifelt, ihm nicht helfen zu können. Es wäre mir unmöglich gewesen, mich mitten im Krieg an Hitler mit einer persönlichen Bitte zu wenden.
Dies alles
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