Memoiren 1902 - 1945
Berlins, die von Dr. Fanck gefilmt wurden. Speer sprach verächtlich über einige Minister und Parteileute, wie beispielsweise den Wirtschaftsminister Dr. Funk. Er war verärgert, daß diese Männer, wie er sagte, wie in Friedenszeiten dahinlebten und in erster Linie an sich und nicht an die notleidende Bevölkerung dachten. Auch Hitler kritisierte er. Einmal sagte er: «Wenn Hitler in manchen seiner Entschlüsse nicht zu weich wäre, könnte ich die Produktion des Kriegsmaterials erheblich steigern, was dringend notwendig wäre.»
«Wie meinen Sie das?» fragte ich.
«Zu früh wird Fliegeralarm gegeben, bei jeder Warnung könnte man viel Zeit einsparen, und das würde bei den ständig zunehmenden Angriffen eine große Anzahl von Stunden ausmachen, in denen in den Rüstungsbetrieben gearbeitet werden könnte.»
«Und warum geht das nicht?»
«Weil ich den Führer dafür nicht gewinnen kann. Er beharrt auf dieser langen Vorwarnung. Er will, daß alle Menschen noch rechtzeitig einen Luftschutzkeller erreichen, was ja menschlich verständlich ist, aber», Speer sagte es verärgert, «das können wir uns nicht leisten.»
«Und finden Sie das nicht trotzdem richtig?» fragte ich betroffen.
«Ja», sagte er, «aber wichtiger ist, daß wir den Krieg gewinnen. Und wenn nicht, dann werden unsere Verluste an Menschenleben das Vielfache betragen.»
«Glauben Sie denn noch an einen Sieg?» fragte ich beklommen.
«Wir müssen siegen», sagte Speer trocken, ohne eine Emotion zu zeigen.
Ich konnte seit dem Rußlandfeldzug nicht mehr an einen Sieg glauben.
Im November 1943 übersiedelten wir nach Kitzbühel. Im Haus
Seebichl hoffte ich, mit meinem Tieflandfilm fertig zu werden. Wir hatten einen größeren Raum für die Vorführung, ein Ton-Mischatelier, einige Schneideräume eingerichtet, vor allem aber genügend Zimmer für die Mitarbeiter. In einer alten Burgruine, «Schloß Münichau», nur wenige Kilometer entfernt, konnten wir unser Filmarchiv relativ sicher vor Feuer und Bombenangriffen lagern.
Hier waren wir vorläufig vor Fliegerangriffen geschützt. Aber ich konnte nicht arbeiten. Ich erlitt einen schweren Rückfall. Die Koliken waren so heftig wie damals auf dem Hahnenkamm, aber der Heilpraktiker Reuter, der mir so geholfen hatte, war nicht mehr in München und nirgends zu erreichen. Meine Ärzte versuchten alles, um mir zu helfen. Täglich wurden mir Traubenzucker und herzstärkende Mittel in die Venen gespritzt, bis sie verstopft waren. Ich fuhr zweimal nach Salzburg, um mich von Morell, Hitlers Leibarzt, untersuchen zu lassen. Auch er konnte keine Besserung erzielen. Damals gab es noch keine Antibiotika, die diese Krankheit heilen konnten.
Letzte Begegnung mit Hitler
A m 21. März 1944 -Frühlingsanfang - stand ich mit Peter Jacob, der inzwischen zum Major befördert war und einen kurzen Sonderurlaub erhalten hatte, in Kitzbühel vor dem Standesbeamten, der an der Eismeerfront sein Meldegänger gewesen war und Peters Briefe an mich weitergeleitet hatte. Ein unwahrscheinlicher Zufall, wie manches bei dieser Kriegstrauung, gegen die ich mich so lange gesträubt hatte. Wir waren an diesem tief verschneiten Morgen vom Haus Seebichl abgefahren, und schon nach wenigen Metern kippte der Schlitten um. Als ich mich aus dem Schnee grub, lag zu meinen Füßen ein altes Hufeisen. Der Volksmund sagt, das bringe Glück. Ich hob es auf und besitze es auch heute noch. Es hat mir aber kein Glück gebracht.
Meine Eltern, die zu der kleinen Hochzeitsfeier nach Kitzbühel kamen, waren über meine Wahl nicht sehr glücklich. Als mein Vater, der in letzter Zeit sehr krank war und sich wegen Heinz große Sorgen machte, mit mir allein war, hatte er Tränen in den Augen, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte. Bewegt sagte er: «Mein Kind, ich wünsche dir, daß du glücklich wirst.»
Ein Abendessen war im Grandhotel in Kitzbühel vorbereitet. Als wir die Halle betraten, kam es zu einem peinlichen Zwischenfall. Ein Luftwaffenoffizier, zweifellos volltrunken, lief mit ausgebreiteten Armen auf mich zu und rief laut: «Leni, kannst du dich noch an un sere Liebesnächte erinnern - du warst zärtlich wie eine Katze!»
Fassungslos schaute ich auf den Verrückten - alle blieben betroffen stehen. Dann sah ich, wie Peter sich bückte und mit einem Anlauf dem Mann einen Kinnhaken versetzte, daß er zu Boden fiel. Während sich einige Leute um den betrunkenen Offizier kümmerten,
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