Memoiren 1902 - 1945
mich in das Frontgebiet begeben hatte. Ich habe in meinem Leben nicht oft gebetet, obgleich ich glaube, ein tiefreligiöser Mensch zu sein - aber an diesem Tag mußte ich beten. Ich dankte Gott, daß mein Mann noch am Leben war.
Wettlauf mit dem Ende
E s ist mir heute ganz und gar unverständlich, warum wir unbedingt «Tiefland» fertigstellen wollten, während alles um uns zusammenbrach. Es war sinnlos und ist kaum zu erklären. Vielleicht war es mein preußisches Pflichtgefühl, aber es ging mir nicht allein so, alle taten das gleiche.
An die Wunderwaffen, über die viele Gerüchte im Umlauf waren, glaubten wir nicht. Um so mehr fürchteten wir uns vor dem «Morgenthauplan», über den mir Frau Schaub Schreckensdinge berichtet hatte, vor allem über die Strafen, die die Deutschen nach Kriegsende zu erwarten hätten. Wilma Schaub, die Frau von Hitlers ältestem Adjutanten, wohnte seit einigen Monaten im Todtheim in Kitzbühel. Für uns war sie in der letzten Zeit die rettende Verbindung mit Berlin, da sie einen direkten Telefonanschluß zur Reichskanzlei hatte; täglich rief sie ihren Mann an. So bekamen wir nach den Bombenangriffen auf Berlin Nachrichten über das Schicksal unserer dort lebenden Angehörigen.
Frau Schaub half uns auch mit Lebensmitteln - mit Eiern, Milch und manchmal auch mit Brot. Weder ich noch meine Mitarbeiter hatten Beziehungen zum «Schwarzen Markt». Wir waren alle ziemlich ausgehungert. Ich wog weniger als 50 Kilo. Frau Schaub, die ich erst im Herbst 1944 kennengelernt habe, war am Anfang sehr zurückhaltend. Erst langsam gewann sie zu mir Vertrauen. Von ihr hörte ich zum ersten Mal von Eva Braun, über deren Existenz ich bisher nichts wußte.
Sie sprach über den Selbstmord von Geli Raubal, der Nichte Hitlers, deren Zimmer er mir einmal gezeigt hatte. Frau Schaub war noch am Abend vor Gelis Tod mit ihr zusammen gewesen. Gemeinsam hatten sie eine Theatervorstellung in München besucht, wobei ihr auffiel, daß Geli sehr abgespannt aussah. Sie begleitete sie deshalb zum Prinzregentenplatz. Geli bewohnte eines der Zimmer in Hitlers Wohnung. Sie bat Frau Schaub, ihr noch etwas Gesellschaft zu leisten. Auf dem Flur hing ein Mantel Hitlers. Geli griff in die Taschen und holte einen Brief heraus. Nachdem sie ihn gelesen hatte, sagte Frau Schaub, sei Geli kalkweiß geworden und habe ihr den Brief gegeben: Es war ein überschwenglicher Liebesbrief von Eva Braun.
Stunden später hatte sich Geli erschossen. «Zweifellos», sagte Frau Schaub, «war dieser Brief der Auslöser für Gelis Selbstmord. Schon seit längerer Zeit hat sie ahnungsvoll unter Eifersucht gelitten.»
Auch über den Tod Rommels schien Frau Schaub Bescheid zu wissen. Hitler soll erschüttert gewesen sein, als er von dessen Verbindung zu den Offizieren des 20. Juli erfahren hatte, und vor allem darüber, daß Rommel als sein Nachfolger ausersehen war. Auf meine Frage, ob sie noch an einen Sieg glaubte, sagte sie Nein. Weinend sprach sie davon, sie wisse, daß sie ihren Mann nicht mehr wiedersehen würde, er wolle den Führer nicht verlassen und in Berlin im Bunker bleiben.
«Wenn mein Mann stirbt», rief sie verzweifelt, «will ich mit den Kindern auch sterben.» Vergebens versuchte ich, sie zu beruhigen.
Der Gedanke an Selbstmord kam mir nicht. Ich war überzeugt, daß schwere Zeiten auf uns zukommen würden, aber trotzdem wollte ich leben. Diese Verpflichtung hatte ich vor allem gegenüber meiner Mutter, die nur noch mich besaß, nachdem sie ihren Mann und ihren einzigen Sohn verloren hatte, und auch gegenüber Peter, um dessen Leben ich vier Jahre gebangt habe.
Aber noch war dieser wahnsinnige Krieg nicht zu Ende - jeder Tag brachte schreckliche Nachrichten. Ende Januar 1945 meldete der Rundfunk, der Dampfer «Wilhelm Gustloff», auf dem sich deutsche Flüchtlinge aus Ostpreußen befanden, sei von einem russischen UBoot versenkt worden, über 5000 Menschen hätten dabei den Tod gefunden. Wenige Tage später erfolgte ein Luftangriff auf Berlin, bei dem mehr als zwanzigtausend Menschen starben. Meine Mutter befand sich immer noch in dieser gefährlichen Zone, und die Russen standen nur noch 40 Kilometer von ihrem Haus entfernt.
Kein Tag verging, an dem wir nicht in Angst und Schrecken lebten. Fassungslos hörten wir die Nachricht von der Zerstörung Dresdens, bei der mehr als 100 000 Menschen den Tod gefunden hätten. Wie lange würde dieses Töten noch weitergehen? Warum fand dieses
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