Memoiren 1902 - 1945
sinnlose Morden nicht sein Ende? Bei der Heftigkeit meiner Krankheit und den starken Schmerzmitteln, die ich ständig gebrauchte, nahm ich die Geschehnisse nur noch wie in quälenden Träumen wahr.
Unerwartet traf meine Mutter in Kitzbühel ein - überglücklich schloß ich sie in die Arme. Durch einen Zufall kam sie aus Berlin heraus. Sie war in das Büro Speers gegangen, da sie längere Zeit keine Nachricht mehr von mir erhalten hatte. Im Büro traf sie Speer, der gerade im Aufbruch zum Obersalzberg war. Kurzentschlossen nahm er meine Mutter in seinem Wagen mit - es war für sie die letzte Chance.
Ich fragte, ob sie von Speer irgend etwas über das bevorstehende Ende des Krieges erfahren hätte. Sie hatte ihn nicht darauf angesprochen und konnte mir nur etwas über den Verlauf der Fahrt berichten. Speer steuerte den Wagen. Ein Begleiter, der neben ihm saß, notierte seine Anweisungen. Meine Mutter konnte sie nicht verstehen. Sie saß im Fond des Wagens und fing manchmal nur halbe Sätze auf. «Es ist mir aufgefallen», erzählte sie, «daß Speer aktiv und zuversichtlich wirkte, und aus einigen seiner Bemerkungen gewann ich den Eindruck, daß er noch an einen positiven Ausgang des Krieges glaubt.» Das wunderte mich. Es war Mitte Februar 1945 und Deutschland schon zerschlagen. Ich vermutete, daß Speer, wie fast alle Leute in Hitlers Umgebung, noch unter dessen hypnotischem Einfluß stand. Vielleicht hatte er aber seine wirkliche Gesinnung nicht verraten wollen.
Mein Mann war inzwischen zur Infanterieschule in Döberitz bei Berlin kommandiert, wo er mit seiner Truppe in Bereitschaft ziehen mußte. Er schrieb: «Ich sollte ein Marine-Infanterieregiment an der Oder übernehmen, aber mein Kommandeur hat noch rechtzeitig bemerkt, daß ich ein Gebirgsjäger bin.» Mit solchem Humor versuchte er die brenzlige Lage zu vertuschen. Aber zwischen seinen Zeilen las ich die Gefahr, in der er sich befand. Vom 11. Februar stammten die folgenden, erst viel später eintreffenden Zeilen:
«Mit Ausnahme sehr starker Einschränkungen und dem Erfassen der Bevölkerung zum Schanzen und Aufbau von Barrikaden in Berlin geht das Leben hier normal weiter. Eine unmittelbare Bedrohung der Stadt besteht nach meiner Ansicht nicht.»
Das konnte ich nicht glauben und bestimmt auch Peter nicht. Er schrieb das nur, um mich zu beruhigen.
Überraschend kam ein Telefonanruf vom Obersalzberg. Eine mir bekannte Stimme sagte: «Leni, wir sind eben aus Berlin gekommen, aus dem Bunker der Reichskanzlei.» Es war die Stimme eines Kameramannes, der früher für mich gearbeitet hatte und im Krieg für das Hauptquartier Hitlers abgestellt worden war. Von ihm habe ich, wenn er mich in seiner Urlaubszeit gelegentlich besuchte, manches aus dem FHQ erfahren.
«Gottlob», sagte ich, «dann bist du gerettet.»
«Was sagst du da?» antwortete er erregt, «der Führer hat uns belogen. Er hat gesagt, daß er mit der nächsten Maschine nachkommt, und nun hören wir im Rundfunk, daß er in Berlin bleibt.»
«Wolltest du mit Hitler sterben?»
«Ja», rief er, «wir wollten alle mit Hitler sterben, keiner wollte den Führer verlassen, auch Hanna Reitsch nicht, die mit dem Ritter von Greim noch in den Bunker kam. Auch sie mußten auf Befehl Hitlers die Reichskanzlei wieder verlassen.»
«Ihr habt alle den Verstand verloren», sagte ich. Dann hörte ich nichts mehr, die Leitung war unterbrochen.
Unfaßbar, was ich eben hörte. Der Anrufer war weder ein Parteigenosse, noch hatte er je ideologisch Sympathien für die Rassentheorien der Nationalsozialisten gehabt, er war ein durch und durch liberal denkender Mensch. Was für suggestive Kräfte mußten noch immer von diesem so ausgezehrten Hitler ausgehen, wenn die Leute um ihn lieber mit ihm sterben wollten, als ihr Leben zu retten. Wir alle rechneten täglich mit einem Selbstmord Hitlers.
In diesen letzten düsteren Kriegstagen versuchten wir noch fieberhaft, unseren Film zu synchronisieren. Diese Arbeit wurde zu einem Wettlauf mit der Zeit, wir wollten «Tiefland» um jeden Preis noch vor Kriegsende fertigstellen. Noch ahnten wir nicht das Ausmaß der Tragödie, noch wußten wir nichts von den Verbrechen, die in den Lagern geschehen waren, aber wir spürten den Abgrund, in den wir gerissen würden. Ich fragte mich: was hat das Leben noch für einen Sinn in einer Welt, in der Demütigungen und Schande unser Los sein würden.
Frau Schaub brachte uns
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