Memoiren 1902 - 1945
Medikamente und einige Neuigkeiten. «Morgen in aller Früh», sagte sie, «kommt ein Wagen vom ‹Braunen Haus› mit wichtigen Dokumenten für den Gauleiter Hofer in Bozen. Wenn Sie Wertsachen in Sicherheit bringen wollen, können Sie noch einiges mitgeben.» Wir bereiteten drei Metallkisten vor, die das Auto mitnahm, darin die Originalnegative der beiden Parteitagfilme «Sieg des Glaubens» und «Triumph des Willens» und des Wehrmachtsfilms «Tag der Freiheit». Wie wir später erfuhren, haben die Kisten ihr Ziel nicht mehr erreicht. Sie sollen noch bis Bozen gekommen sein, aber selbst die Nachforschungen der amerikanischen und französischen Film-Offiziere blieben ergebnislos. Diese Originalnegative waren nicht mehr aufzufinden. Sie sind verschwunden bis auf den heutigen Tag.
Mitte April kam aus Wien ein Hilferuf meines früheren Freundes und Kameramannes Hans Schneeberger: «Leni, du mußt mir helfen, ich bin zum Volkssturm einberufen worden, und die Russen stehen schon vor der Stadt.» In Berlin, wo Goebbels «Kampfkommissar» war, hätte ich niemandem helfen können - in Wien vielleicht. Ich kannte zwar Schirach, den Gauleiter von Wien, persönlich nicht, aber ich hörte, er sei tolerant. Nach einigen Gesprächen mit einem seiner engsten Mitarbeiter gelang es mir, Schneeberger, der schon über fünfzig war, für eine Woche freizubekommen, er sollte die Titel für «Tiefland» aufnehmen. Da bis Kriegsende sogar noch unpolitische Filme gemacht wurden, war dies nicht so ungewöhnlich. Wenige Tage danach wurde meine Hilfe in einer weitaus schwierigeren Situation gebraucht. Gisela, Schneebergers Frau, eine rothaarige, rassige Erscheinung, die jahrelang bei mir als Fotolaborantin gearbeitet hatte, war im Zug nach Kitzbühel verhaftet worden und befand sich im Innsbrukker Gefängnis. Ihr Mann, völlig verzweifelt, reiste sofort von Wien nach Innsbruck. Die Sache war ernst. In den letzten Tagen stand auf Äußerungen wie die, zu denen sich Gisela hatte hinreißen lassen, möglicherweise Todesstrafe. In einem Eisenbahnabteil, in dem verwundete Soldaten saßen, soll sie diese beschimpft und gerufen haben: «Ihr Schweine, warum habt Ihr noch für Hitler gekämpft?» Darauf habe sie ein Offizier, der sich in dem Abteil befand, verhaften lassen. Ich wußte, daß sie eine Gegnerin des Regimes war, und sie war Halbjüdin. Aber zu dieser Zeit verwundete Soldaten als Schweine zu beschimpfen, kam fast einem Selbstmord gleich. Wie konnte ich ihr nur helfen? Mir fiel Uli Ritzer ein, ein früherer Mitarbeiter, der in Tirol beim Gauleiter Hofer die Kulturabteilung leitete. Er sprach mit dem Chef der Gestapo - ohne Erfolg. Drei Zeugen hatten Gisela zu sehr belastet. Da entschloß ich mich nach Innsbruck zu fahren, wo es mir nach einem längeren Gespräch mit dem Gestapomann gelang, Gisela aus dem Gefängnis zu holen. Ich hatte ihm berichtet, daß Frau Schneeberger in Wien durch einen schweren Bombenangriff einen Nervenzusammenbruch erlitten hätte und deshalb für ihre Äußerungen nicht verantwortlich gemacht werden könnte. Auch beeindruckte es den Mann von der Gestapo, daß sie meine Angestellte war und ich sie und ihren Mann in meinem Haus Seebichl aufnehmen wollte.
Bei uns ging es immer turbulenter zu. Auf den Gängen lagen Matratzen und Decken. Auch fremde Menschen suchten Unterkunft. Auf den Straßen wurden schon Transparente gespannt: «Wir begrüßen unsere Befreier». Noch wußte man nicht, werden die Amerikaner oder die Russen einmarschieren. Aber noch bevor die Besatzung kam, konnte man erleben, wie aus ehemals begeisterten Hitleranhängern Widerstandskämpfer wurden.
Gisela und ihr Mann wollten aufs Tuxer Joch. Dort besaß ein Vetter Schneebergers einen Gasthof. Sie bedrängten mich, mitzukommen.
«Sie stecken dir das Haus an!» sagte Gisela
«Du wirst alle in Gefahr bringen, wenn du hier bleibst», sagte Hans, «komm mit, dort bist du sicher, wir bleiben auch oben, bis das Schlimmste vorbei ist.» Meine Mitarbeiter und meine Mutter baten mich ebenfalls, mit Schneebergers aus Kitzbühel fortzugehen. Aber ich wollte meine Mutter nicht allein zurücklassen. Ich wurde unsicher, auch wartete ich auf ein Lebenszeichen meines Mannes. Totale Nachrichtensperre war verhängt, und es war aussichtslos zu erfahren, wo er sich jetzt befand.
Als Schneebergers sich von uns verabschiedeten, sagte Gisela: «Du kannst ja nachkommen, ich werde im Gasthof in Mayerhofen auf dich warten. Vergiß nicht, deine
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