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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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der wörtlich zu meinem Bruder sagte: «Diesmal, Herr Riefenstahl, geht es um Ihren Kopf.»
      Im Nachlaß meines Bruders befinden sich zwei Briefe des Generals Wolff. Er droht ihm darin, sich an den Führer zu wenden, falls mein Bruder nicht freiwillig auf sein Recht, seine beiden Kinder nach der Scheidung zu behalten, verzichten wolle. Da mein Bruder sich weder einschüchtern noch erpressen ließ, bekam er bald die Quittung.
      Seinen Tod hat er vorausgeahnt. Wenige Jahre vor Kriegsausbruch sagte er mir eines Tages, er habe eine schreckliche Vision gehabt - er sah sich tot in einer Blutlache liegen.
      «Ich werde jung sterben», sagte er damals zu mir. Er war achtunddreißig, als er in Rußland den Tod fand.

    Sippenhaft

    I m Herbst 1944 fielen in Prag die letzten Klappen für «Tiefland». Unser Film war nicht «kriegswichtig», und so hatten wir zwei Jahre warten müssen, bis uns das «Promi» die notwendigen Ateliertage zuwies. Nur noch eine einzige Aufnahme war zu machen, das Schlußbild des Films, für das wir eine sehr große Halle brauchten. Die junge Architektin Isabella Ploberger, die sich dank ihrer großen Begabung erfolgreich gegen ihre erfahrenen Kollegen durchsetzte, hatte eine herrliche Dekoration aufgebaut- eine stilisierte Gebirgslandschaft mit einem Bündel von Lichtstrahlen, wie man sie in der freien Natur nicht finden konnte.
      Wir waren nicht die einzigen, die in Prag arbeiteten. Dort traf ich viele Schauspieler und Filmregisseure, wie G. W. Pabst, Willy Forst, von Cziffra und andere. Es mutete mich gespenstisch an, daß in diesem Stadium des Krieges noch immer an neuen Filmprojekten gearbeitet wurde. Das Arbeitsverhältnis mit den tschechischen Bühnenarbeitern war erstaunlich gut. Über Krieg oder Politik wurde kein Wort gesprochen. Aber man konnte bei vielen den Unmut über den nicht endenden Krieg spüren. Kaum einer glaubte noch an einen Sieg.
      Während ich an meinen letzten Aufnahmen arbeitete, erfuhr ich zu meinem Entsetzen, daß die Kinder meines Bruders, für die ich nach seiner testamentarischen Bestimmung das Sorgerecht übernommen hatte, aus meinem Haus in Kitzbühel, im Auftrage seiner geschiedenen Frau, entführt worden waren. Ich war außer mir. Nach dem Willen meines Bruders hatte ich eine gute Bekannte von ihm, eine Kindergärtnerin, für die Betreuung der Kinder, die drei und vier Jahre alt waren, gewinnen können. Und die Kinder liebten sie sehr. Ich unterbrach meine Arbeit in Prag und fuhr nach Kitzbühel. Trotz aller meiner Bemühungen gelang es mir nicht, dem letzten Willen meines Bruders Geltung zu verschaffen und die Kinder zurückzubekommen. Auch alle meine späteren Bemühungen blieben ohne Erfolg.
      Nach Kriegsende erreichte die Frau meines Bruders, inzwischen wieder verheiratet, durch gerichtliches Urteil, daß mir trotz des Testaments meines Bruders das Sorgerecht für die Kinder entzogen wurde. Begründung: Der Name Riefenstahl bedeutet eine Diffamierung für die Kinder von Heinz Riefenstahl.
      «Sippenhaft» auf andere Art.
    Vor dem Untergang

    J eden Mittag brausten jetzt Tausende amerikanischer Bomber über Kitzbühel Richtung München. Wir zitterten um das Leben unserer Freunde und Verwandten - das Inferno der Luftangriffe wurde immer furchtbarer, die Stimmung der Menschen immer depressiver. Ein Wunder, daß noch Züge verkehrten und daß es überhaupt noch Lebensmittel gab.
      Trotzdem hatten wir unbegreiflicherweise noch den Wunsch, «Tiefland» zu beenden. In Prag hatten wir das sehr aufwendige Schlußbild bekommen, aber dann passierte eine Katastrophe. Unsere unersetzbaren Film-Negative waren verschwunden. Das Material war in Prag per Bahnexpreß aufgegeben worden. Mit Telefonaten und Telegrammen bombardierten wir Tag für Tag die Reichsbahn, aber unser Filmmaterial blieb unauffindbar. Die Spannung, in der wir lebten, war unerträglich.
      Nach Wochen kam die erlösende Nachricht - das Filmmaterial wurde gefunden, aber unglücklicherweise befand es sich im Kampfgebiet, es war an die Westfront geraten: Der Güterwagen mit unserem Material war irgendwo auf der Strecke abgekoppelt worden. Aber wir hatten unglaubliches Glück. Schließlich traf es unversehrt in Kitzbühel ein.
      Unterdessen rückten die Fronten immer näher. Jeden Tag brachte der «Wehrmachtsbericht» neue Hiobsbotschaften. Mir war, als ob wir uns auf einem Schiff befänden, das langsam in den Fluten versinkt. Obgleich das bittere Ende unausweichlich erschien, machte

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