Memoiren 1902 - 1945
das Einsteinsche «relativ» revolutionär.
In der Zeit, als ich nicht trainieren konnte, habe ich vieles nachholen können. Es kam zu einem Widersehen mit Willy Jaeckel; ich hatte ihn seit dem Besuch in seinem Allgäuer Häuschen nicht mehr gesehen. Auf den Porträts, die er von mir machte, konnte ich mich allerdings nicht erkennen. Er war eben ein «moderner» Maler, der die Welt in seine Formensprache umsetzte. Ich fand, daß ich auf seiner Leinwand scheußlich aussah. Im Gegensatz dazu waren die Bilder, die Eugen Spiro, Ernst Oppler und Leo von König von mir machten, schmeichelhaft. Nur eines dieser Gemälde konnte ich durch die Kriegswirren retten, das von Eugen Spiro, der mich 1924 als Tänzerin gemalt hat.
Der erste Mann
N un war ich einundzwanzig und hatte mein erstes Erlebnis mit einem Mann. Ohne es mir einzugestehen, hatten sich meine Gefühle für Otto Froitzheim immer mehr vertieft und Besitz von mir ergriffen, und doch hatte ich es fertiggebracht, ihn zwei Jahre lang nicht mehr zu sehen. Das war nur deshalb möglich, weil die Leidenschaft für den Tanz mich ganz und gar erfüllte.
Alle meine Freundinnen hatten schon ihre Liebesaffären, einige waren verlobt, und Alice, meine liebste Freundin, war sogar schon verheiratet. Ich als einzige hatte noch keine Erfahrung mit Männern gemacht. Mit der Zeit empfand ich das denn doch als ein Manko und begann öfter mit dem Gedanken zu spielen, mich auf ein Abenteuer einzulassen. Aber mit wem? Ich hatte eine Reihe stiller Verehrer, aber zu geringe Sympathie für sie. So konzentrierten sich meine Gedanken, ganz gegen meinen Willen, immer mehr auf den Mann, vor dem ich mich fast fürchtete. Der gutmütige Günther Rahn, mein glühend ster Verehrer, war ein Freund Otto Froitzheims. Irgendwie gelang es mir. Günther in meine geheimen Wunschgedanken einzuweihen, obgleich mir klar war, daß ihm das großen Kummer machen würde. Er war mir wirklich ein sehr lieber Freund, aber eben auch nicht mehr. Von ihm erfuhr ich, daß Froitzheim nicht mehr in Berlin, sondern nun in Köln wohnte, wo er zum stellvertretenden Polizeipräsidenten avanciert war - doch hatte er noch immer seine Wohnung im Tiergarten und kam, wie mir Günther versicherte, alle vierzehn Tage nach Berlin. Ich begann meinen armen Freund zu bedrängen, für mich ein Rendezvous mit Froitzheim zu arrangieren, vielleicht eine Einladung zum Tee oder was Ähnliches. Das war gar nicht so einfach, da ein solches Treffen nur an einem Wochenende möglich war, wenn Papa zur Jagd fuhr. Ich war noch immer ein streng behütetes Mädchen.
Groß war meine Aufregung, als mir Günther nach einigen Wochen mitteilte, Otto Froitzheim werde mich in seiner Wohnung erwarten. Erst in diesem Augenblick wurde mir das Abenteuerliche meines Unternehmens voll bewußt. Ein «Zurück» gab es nicht mehr, doch vor dem, was da kommen sollte, hatte ich große Angst. Die in Liebesdingen schon erfahrene Alice weihte ich in mein Geheimnis ein und erbat ihren Rat.
«Vor allem», sagte sie, «mußt du schöne Unterwäsche anziehen, mit deinen Wollsachen kannst du da nicht hingehen - ich borge dir meine schwarze Seidengarnitur.»
Pünktlich um fünf Uhr stand ich mit Herzklopfen vor dem Haus in der Rauchstraße - einem alten, herrschaftlichen Patrizierhaus. Breite Marmortreppen mit Plüschteppichen und dicken Messingstangen führten zum Hochparterre hinauf. Langsam, sehr langsam stieg ich, Fuß vor Fuß, die Stufen hinauf, als ging es zu einer Hinrichtung. Ich klingelte. Dann stand der Mann, den ich noch gar nicht kannte und nach dem ich mich zwei Jahre lang gesehnt hatte, in der Tür, im Gegenlicht, so daß ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Er streckte mir seine Hand entgegen und sagte mit einer sanften dunklen Stimme, die mir eine Gänsehaut verursachte: «Fräulein Leni, so darf ich Sie doch nennen, kommen Sie, ich freue mich sehr, daß ich Sie kennenlernen darf.» Dann half er mir, meinen schwarzen Samtmantel auszuziehen, der mit unechtem Hermelin besetzt war. Ich richtete meine Haare, betrat dann ein Wohnzimmer, das durch raffinierte Beleuchtung intim wirkte, und setzte mich in einen bequemen Sessel, während er mir von dem Tee, den er vorbereitet harte, eine Tasse einschenkte. Es entwickelte sich eine zögernde Unterhaltung. Wir sprachen über Tennis, Tanz und Belanglosigkeiten.
Meine Befangenheit wurde immer stärker. Von Günther wußte ich, daß Froitzheim achtzehn Jahre älter war als ich - mit seinen
Weitere Kostenlose Bücher