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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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neununddreißig Jahren für meine damaligen Vorstellungen schon ein älterer Herr. Je länger er mich betrachtete, desto unruhiger wurde ich, besonders, wenn sein Blick auf meine Beine fiel. Am liebsten wäre ich auf und davongelaufen. Er legte eine Grammophonplatte auf, eine Tangomelodie. Widerstandslos ließ ich mich aus dem Sessel ziehen, und wie hypnotisiert tanzte ich einige Schritte mit ihm - glücklich an ihn geschmiegt -, meine Träume und Sehnsüchte hatten sich erfüllt. Da hob er mich plötzlich hoch und legte mich behutsam auf eine Couch. Wie weggewischt waren meine Glücksgefühle, ich verspürte nur noch Angst, Angst vor etwas Unbekanntem. Er riß mir fast die Kleider vom Leib und versuchte, mit beinahe brutaler Gewalt schnell und ganz von mir Besitz zu ergreifen.
      Was ich nun erlebte, war fürchterlich. Das sollte Liebe sein? Ich fühlte nichts als Schmerzen und Enttäuschung. Wie weit war das entfernt von meinen Vorstellungen und Wünschen, die nur nach Zärtlichkeit verlangten, ich wollte bei ihm sein, mich an ihn schmiegen ihm zu Füßen liegen. Ich ließ alles über mich ergehen und bedeckte mein verweintes Gesicht mit einem Kissen. Nach kurzer Zeit warf er mir ein Handtuch zu und sagte, auf die Tür zum Bad zeigend: «Da kannst du dich waschen.»
      Voller Schamgefühl und gedemütigt ging ich ins Bad, wo ich von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. Ein Gefühl von Haß stieg in mir auf.
      Als ich ins Zimmer zurückkam, war er schon angezogen. Er sah auf seine Uhr und sagte mit einer Stimme, die mir entsetzlich gleichgültig vorkam: «Ich habe eine Verabredung.»
      Dann drückte er mir einen Geldschein, eine Zwanzig-Dollar-Note, in die Hand - in dieser Zeit ein Vermögen - und sagte: «Wenn du schwanger werden solltest, kannst du es dir damit wegmachen lassen.»
      Ich zerriß den Schein und warf ihm die Fetzen vor die Füße. «Du Ungeheuer!» schrie ich ihn an und verließ fluchtartig die Wohnung. Verzweiflung, Wut und Scham tobten in mir.
      Draußen war es kalt und neblig! Ich irrte durch die Straßen bis zum Landwehrkanal, der in der Nähe fließt. Stundenlang starrte ich auf das Wasser und hatte nur den einen Wunsch: zu sterben. Dieses Erlebnis war zu schrecklich, ich glaubte, nicht mehr weiterleben zu können.
      Aber Kälte und Nässe holten mich langsam in die Wirklichkeit zurück. Spät am Abend kam ich wieder in Zeuthen bei meinen Eltern an. Noch in derselben Nacht schrieb ich einen Brief an diesen Mann, über meine Liebe und meinen grenzenlosen Abscheu vor ihm.
      Ich wollte aus Berlin fort. Meinen Vater bat ich, mich in Dresden
    bei der Mary-Wigman-Schule anzumelden, womit er überraschenderweise einverstanden war. Meine Mutter brachte mich nach Dresden und mietete mir dort bei einer Familie ein kleines Zimmer, in der Nähe der Wigman-Schule.
      Schon am nächsten Tag durfte ich Frau Wigman vortanzen und kam in ihre Meisterklasse, wo ich gemeinsam mit der Palucca, Yvonne Georgi und Vera Skoronell Unterricht nahm. Aber ich fühlte mich in Dresden sehr einsam, da ich mich nur schwer in den Gruppentanz der Wigman-Schule einordnen konnte. Der Stil war mir zu abstrakt, zu streng, auch zu asketisch. Ich verspürte mehr den Drang, mich voll und ganz den Rhythmen der Musik hinzugeben. In dieser Zeit habe ich sehr gelitten, auch weil mich Zweifel an meiner Begabung quälten. Deshalb mietete ich mir in einem Gasthof einen kleinen Raum und versuchte dort, meine eigenen Tänze zu gestalten.
      Unter dem Eindruck meines Erlebnisses mit Froitzheim entstanden in Dresden einige meiner späteren Tänze, der Zyklus «Die drei Tänze des Eros.» Den ersten nannte ich «Das Feuer», ein leidenschaftlicher Tanz nach einer Musik von Tschaikowski, für den zweiten Tanz, «Hingebung», wählte ich ein Thema von Chopin, und den dritten Tanz, «Loslösung», den ich, von gotischen Skulpturen inspiriert, choreographiert hatte, tanzte ich nach einer Musik von Grieg.
      Eines Tages fand ich in meinem Zimmer prachtvolle Blumen vor. Dazu diese Karte: «Verzeih mir, ich liebe dich, ich muß dich wiedersehen - Dein Otto.»
      Ich war wie gelähmt. Nie hatte ich eine Antwort auf meinen verzweifelten Brief erwartet. Diesen Mann wollte ich nie Wiedersehen. Und jetzt schickte er diese Blumen. Warum warf ich sie nicht sofort aus dem Fenster, warum drückte ich sie fest an mich? Warum küßte ich die Karte? Ich schloß mich ein und weinte, weinte und weinte.
      Ein paar Tage später war er

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