Memoiren 1902 - 1945
ersten Abend Reinhardt mitgenommen, der so begeistert war, daß er mich ins «Deutsche Theater» holte. Zum ersten Mal trat eine Tänzerin in dem berühmtesten Theater Deutschlands ohne Ensemble auf.
Darauf erhielt ich von Agenturen viele Angebote. Fast jeden Abend tanzte ich nun in einer anderen Stadt, in Frankfurt, Leipzig, Düsseldorf, in Köln und Dresden, in Kiel und Stettin - und überall erlebte ich denselben unbeschreiblichen Erfolg bei Publikum und Presse. Meine Mutter begleitete mich auf allen diesen Reisen. Schon nach wenigen Monaten bekam ich auch Angebote aus dem Ausland. Noch ehe das Jahr zu Ende ging, tanzte ich im Züricher Schauspielhaus, im Innsbrucker Theater und in Prag im Konzertsaal « Central». Ich lebte wie in einem Rausch. Selbst in Zürich, bei den verhaltenen Schweizern, mußte ich schon meinen ersten Tanz, einen «Kaukasischen Marsch» von Ippolitow, wiederholen. Das hatte ich noch in keiner anderen Stadt erlebt, und in Prag geschah es, daß ich meinen Tanz «Orientalisches Märchen», nach der Musik von Cui, dreimal neu beginnen mußte, weil das Publikum schon bei meinen ersten Bewegungen so heftig applaudierte, daß ich die Musik nicht mehr hören konnte und den Tanz abbrechen mußte.
Die körperlichen Anstrengungen waren enorm, da ich die Tanzabende ja allein bestritt. In der Pause lag ich, in Schweiß gebadet, auf irgendeiner Couch, unfähig, ein Wort zu sprechen. Aber meine Jugend und das harte Training ließen mich alle Erschöpfungen überwinden. Mein Programm enthielt zehn Tänze, fünf im ersten Teil, fünf weitere nach der Pause. Durch die Wiederholungen wurden es manchmal sogar bis zu vierzehn.
Die Kostüme, die ich entwarf, nähte meine Mutter. Der Hintergrund der Bühne war immer schwarz, ideal, weil auf diese Weise nichts von der sich in Lichtkegeln bewegenden Tänzerin ablenkte. Einen meiner erfolgreichsten Tänze hatte ich «Traumblüte» genannt. Nach der Musik von Chopin war er dem «Sterbenden Schwan» der Anna Pawlowa nachempfunden, aber nicht als Spitzentanz, da ich nur barfuß tanzte. Bei diesem Tanz trug ich ein eng anliegendes Trikot aus Silberlamé, darüber in satten Herbstfarben schimmernde Chiffontücher, deren Farbwirkung durch rötliches und violettes Scheinwerferlicht unterstützt wurde. Aber der Tanz, in dem ich mich am stärk
sten ausdrücken konnte, war «Die Unvollendete» von Schubert.
Fühlte ich mich glücklich in dieser Zeit? Ich glaube ja, wenn auch die Ungewöhnlichkeit der Erfolge mir nicht voll zu Bewußtsein kam. Nach dem ersten Berliner Tanzabend waren alle meine Auftritte ausnahmslos ausverkauft. Außer den Spesen erhielt ich 500 bis 1000 Mark für jede Vorstellung in der neuen, wertvollen Rentenmark. Für diese Zeit, unmittelbar nach Ende der Inflation, ein enormes Geld, ich konnte mir Kleider und schöne Sachen kaufen, das war herrlich, und doch war ich nicht ganz zufrieden. Ich litt darunter, daß ich zu früh aus meinem Studium herausgerissen wurde, lieber hätte ich mich technisch und künstlerisch noch weiter entwickelt. Aber es war sehr schwer, nun aus dem Strom der Erfolge wieder auszusteigen.
Auch verschiedene Filmangebote trafen ein, die ich aber, ohne sie zu prüfen, ablehnte. Ich wollte nur für den Tanz leben und mich nicht zersplittern. Dies erforderte Opfer, da ich auf vieles verzichten mußte, besonders auf ein Privatleben. Das Training war hart, und die Tanzabende verlangten den uneingeschränkten Einsatz aller meiner Kräfte. Zwar interessierte mich der Film auch damals schon, aber der Gedanke, einige Wochen oder vielleicht sogar Monate mit dem Training auszusetzen, war für mich undenkbar. Eine Absage allerdings fiel mir nicht leicht. Mir war angeboten worden, in dem UFAFilm «Pietro der Korsar» die Hauptrolle zu spielen. Reizvoll daran war, daß es sich dabei um eine Tänzerin handelte. Der Regisseur, der mich ausgewählt hatte, hieß Artur Robison. Paul Richter sollte mein Partner werden. Ich konnte der Versuchung nicht ganz widerstehen und ließ Probeaufnahmen von mir machen. Sie müssen gefallen haben, denn als ich vor dem Gewaltigen der UFA, Erich Pommer, stand und er mir die für damalige Verhältnisse sagenhafte Gage von 30 000 Mark anbot, war ich nicht imstande, sofort abzulehnen.
Ich bat um einige Tage Bedenkzeit, aber nach einem schweren Kampf mit meinem Gewissen sagte ich Nein zu Herrn Pommer und verzichtete auf diese einzigartige Chance.
Gastspiel in Zürich
A ls ich volljährig
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