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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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antworten: «Keine Ahnung». Immer öfter stellte man mir diese Frage. Ich fing an, mich für diesen Mann zu interessieren. Wohin ich auch kam, überall wurde leidenschaftlich über Hitler diskutiert. Viele von ihnen sahen offenbar in ihm den Retter Deutschlands, andere wieder spotteten über ihn. Ich konnte mir kein Urteil bilden. Politisch war ich so unwissend, daß ich mir nicht einmal unter Begriffen wie «rechts» oder «links» etwas vorstellen konnte.
      Zwar wußte ich, daß wir über sechs Millionen Arbeitslose hatten, und meine Eltern waren der Meinung, die Not und die Verzweiflung würden immer bedrohlicher und die Hoffnung auf eine Besserung der Verhältnisse ständig geringer. Mein Vater hatte zwei Drittel seiner Arbeiter entlassen und konnte nur mit großer Mühe seine vorher sehr gutgehende Firma über Wasser halten. Unser Haus am Zeuthener See wurde verkauft, und er hatte nun mit meiner Mutter eine kleine Wohnung in der Nähe des Schöneberger Rathauses genommen. Die soziale Fürsorge brach zusammen, konnte dem Elend nicht steuern.
Schon grassierte unter den armen Bevölkerungsschichten eine Hungersnot. Wo ich auch hinkam, wurde von Adolf Hitler gesprochen, von ihm erwarteten viele ein Ende dieser Not. Die Fotos und Zeitungslithos, die ich von ihm sah, gefielen mir nicht. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß dieser Mann die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen könnte.
    Gern hätte ich mir selbst ein Bild von ihm gemacht.

    Schicksalhafte Begegnung

    I ch kam von meiner Film-Tournee nach Berlin zurück. Überall klebten Plakate mit der Ankündigung, daß Adolf Hitler im Berliner Sportpalast eine Rede halten werde. Spontan entschloß ich mich hinzugehen - ich glaube, es war Ende Februar 1932 -, noch nie hatte ich eine politische Versammlung besucht.
      Der Sportpalast war überfüllt. Es war schwer, noch einen Platz zu finden. Schließlich saß ich eingeengt zwischen aufgeregten und lauten Menschen. Schon bereute ich es, hergekommen zu sein. Aber es war kaum möglich, den Raum zu verlassen, Menschenmassen versperrten die Eingänge.
      Endlich, mit großer Verspätung, erschien Hitler, nachdem eine Blaskapelle Marsch um Marsch gespielt hatte. Die Leute sprangen von ihren Sitzen auf, schrien wie von Sinnen: «Heil, Heil, Heil!» minutenlang. Ich saß zu weit entfernt, um Hitlers Gesicht sehen zu können. Nachdem die Rufe verhallten, sprach Hitler: «Volksgenossen, Volksgenossinnen.» - Merkwürdigerweise hatte ich im gleichen Augenblick eine beinahe apokalyptische Vision, die ich nie mehr vergessen konnte. Mir war, als ob sich die Erdoberfläche vor mir ausbreitete - wie eine Halbkugel, die sich plötzlich in der Mitte spaltet und aus der ein ungeheurer Wasserstrahl herausgeschleudert wurde, so gewaltig, daß er den Himmel berührte und die Erde erschütterte.
      Ich war wie gelähmt. Obgleich ich vieles in der Rede nicht verstand, wirkte sie auf mich faszinierend. Ein Trommelfeuer prasselte auf die Zuhörer nieder, und ich spürte, sie waren diesem Mann verfallen.
      Zwei Stunden danach stand ich fröstelnd auf der Potsdamer Straße. Ich war nicht in der Lage, ein Taxi anzuhalten, so stark wirkte das Erlebnis dieser Versammlung in mir nach. Kein Zweifel, ich war infiziert. Unerwartete neue Gedanken schossen mir durch den Kopf. Würde dieser Mann in Deutschlands Geschichte eine Rolle spielen und würde dies zum Guten oder zum Bösen führen? Während ich langsam Richtung Hindenburgstraße heimging, konnte ich von solchen Gedanken nicht loskommen.
      Am nächsten Tag traf ich mich mit einem Freund, mit dem ich über Hitler sprechen wollte. Es war Manfred George, Redakteur der Berliner Abendzeitung «Tempo» im Ullstein Verlag - zehn Jahre später im Zweiten Weltkrieg in New York der Herausgeber und Chefredakteur der deutsch-jüdischen Zeitung «Der Aufbau». Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, was es hieß, ein Jude zu sein. In meiner Familie und meinem Bekanntenkreis wurde darüber nie gesprochen. Ohne die Freundschaft mit Manfred George wäre ich vielleicht tiefer in die nationalsozialistischen Ideen verstrickt worden. Er war ein glühender Zionist, trotzdem sah auch er damals noch nicht die drohenden Gefahren in ihrem ganzen Ausmaß voraus. Sein Urteil damals über Hitler: Genial, aber gefährlich.
      Viele werden nicht verstehen, wieso ich, trotz meiner Freundschaft mit George, jahrelang Hitler vertrauen konnte. Ich will hier versuchen, diese schwierige Frage ehrlich und

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