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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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brachte ich ihm meine Schnittkopie in die Kaiserallee. Er versprach, mit mir gemeinsam den Schnitt zu verbessern. Was nun aber geschah, war schrecklich. Als ich am nächsten Vormittag wieder zu ihm kam, sagte er mir: «Du kannst dir deinen Film ansehen, ich habe ihn diese Nacht neu geschnitten, fast jede Szene verändert und umgesetzt.»
      Entsetzt schaute ich Fanck an.
      «Du hast ohne mich meinen Film zerschnitten - bist du wahnsinnig geworden», schrie ich.
      «Du wolltest doch, daß ich dir helfe», sagte er.
      «Aber nur mit mir gemeinsam», schluchzte ich, dann brach ich weinend zusammen. Mein erster Nervenzusammenbruch.
      Nachdem Fanck aus dem Zimmer gegangen war und ich mich langsam wieder beruhigt hatte, suchte ich die Hunderte von Filmresten zusammen, die noch an Fancks Glaswänden hingen, und schmiß sie alle in einen großen Korb, der im Zimmer stand.
      Es dauerte Tage, bis ich den Mut fand, mir die von Fanck umgeschnittene Kopie anzusehen. Vielleicht war es nicht so schlimm, wie ich fürchtete. Aber was ich zu sehen bekam, war eine Verstümmelung. Was hatte Fanck mit meinem Film angerichtet! Ich habe nie erfahren, ob dies ein Racheakt war, oder ob er nur keine Beziehung zu dem Thema hatte. Ihm hatte ja schon das Exposé nicht gefallen, er war nur von den Aufnahmen begeistert gewesen.
      Seitdem war unser freundschaftliches Verhältnis gestört. Ich stand nicht mehr unter seinem Einfluß. Meine neue selbständige Karriere hatte begonnen.
      Um meinen Film zu retten, begann ich noch einmal, ihn neu zu schneiden. Aus den tausend Röllchen, die ich wieder zusammenkleben mußte, entstand allmählich ein richtiger Film, Woche für Woche wurde er sichtbarer, endlich lag meine noch vor einem Jahr geträumte Legende vom «Blauen Licht» fertig vor mir.
      Am 24. März 1932 fand im Berliner UFA-Palast die Uraufführung statt. Sie wurde ein ungeahnter Erfolg, ein Triumph, den ich mir nie erträumt hatte - eine Sensation. Die Berliner Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung. «Das blaue Licht» wurde als der beste Film der letzten Jahre gefeiert. Er verdiene den höchsten Preis, den die Filmindustrie zu vergeben hat, schrieb die Presse. Im «Film-Kurier» stand: «Das Publikum war wie entrückt, es hatte, ehe der Saal sich wieder erhellte, in einer anderen Welt gelebt. Eine mutige, in ihrem Werk, ihrer Besessenheit gläubige Frau hat den abgeblaßten Kinohimmel einstürzen lassen.»
      Wie wirkte sich dieser unerwartete, beispiellose Erfolg auf mich aus? Ich kam kaum zum Überlegen, er überrollte mich einfach. Täglich brachte mir der Briefträger begeisterte Post, darunter sogar telegrafische Glückwünsche von Charlie Chaplin und Douglas Fairbanks, die in Hollywood bereits eine Kopie gesehen hatten.
      Die Pariser und Londoner Premieren standen bevor - die Biennale in Venedig, die in diesem Jahr zum ersten Mal stattfinden sollte, und die wenige Monate später «Das blaue Licht» als zweitbesten Film mit der Silbermedaille auszeichnete. Wie war dieser Erfolg erklärbar? Die Handlung, eine romantische Legende ohne alle Sensationen, war von der ganzen Filmindustrie belächelt und von allen abgelehnt worden.
      Wie in einer Vorahnung habe ich im «Blauen Licht» mein späteres Schicksal erzählt: Junta, das seltsame Mädchen in den Bergen, das in einer Traumwelt lebt, verfolgt und ausgestoßen wird, geht zugrunde, weil ihre Ideale - im Film sind es symbolisch die schimmernden Bergkristalle - zerstört werden. Auch ich hatte bis zum Frühsommer
    1932 in einer Traumwelt gelebt, die harte Wirklichkeit der Zeit ignoriert und Ereignisse wie den Ersten Weltkrieg mit seinen dramatischen Folgeerscheinungen nicht wahrgenommen.
      «Aber», sagten später meine Freunde, «du mußt dich doch um Gottes willen an den Tag erinnern, als der Krieg aus war, als in Berlin alles drunter und drüber ging und die Straßen voller Menschen, Soldaten und roten Fahnen waren.»
      Die Wahrheit ist: Ich war sechzehn, ging in der Nähe der KaiserWilhelm-Gedächtniskirche zur Schule und sah und hörte wenig vom letzten Tag des Krieges. Ich wußte nicht einmal, warum in den Straßen geschossen wurde. Erst, als ich nach der Premiere des «Blauen Lichts» mit meinem Film von Stadt zu Stadt kreuz und quer durch Deutschland reiste, kam ich mit der Bevölkerung in Berührung. Hier hörte ich zum ersten Mal den Namen Adolf Hitler. Als man mich fragte, was ich von diesem Mann erwarte, konnte ich nur verlegen

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