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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Schwermut kam über mich. Würde ich Grönland noch einmal wiedersehen? Leise tuckerte das Boot durch die Stille. Langsam schlief ich ein.
      Der schrille Ton einer Dampfersirene weckte mich aus dem Schlaf. Es kam von meinem Schiff. Irgend jemand übernahm meine Koffer. Benommen folgte ich. Das Wasser rauschte auf vor dem Kiel, die «Disco» fuhr Richtung Süden. Wir verließen Grönland.
      Bei der Erinnerung an diese Reise schaudert es mich noch heute. Vier Wochen fuhren wir durch schwere Stürme. Fast alle Passagiere waren seekrank, auch ein großer Teil der Besatzung. Meterhohe Wellen überspülten das Deck. Aus dem Sturm wurde ein Orkan mit Windstärke 12 - mir war speiübel. Zusätzlich quälten mich unerträgliche Blasenkoliken. Auch litt ich an einem stechenden Schmerz an der großen Zehe. Seit ich Ballett getanzt hatte, wuchsen mir, wenn ich nicht rechtzeitig zum Pediküren ging, die Fußnägel in die Haut. Schon dreimal war ich deswegen operiert worden. Als der Kapitän meinen Fuß sah, sagte er spontan: «Das sieht böse aus, damit können Sie nicht bis zur Ankunft in Europa warten. Wir werden einen Hafen in Südgrönland anlaufen, da können Sie operiert werden.» Tatsächlich änderte die «Disco» ihren Kurs.
      Beim Erwachen aus der Narkose hörte ich den dänischen Arzt sagen: «Bevor Sie ganz weg waren, haben Sie zweimal geflüstert, ‹das Leben ist schön›.»
      Von nun an ging es mir besser, da ich im Krankenhaus auch Schmerzmittel gegen die Koliken erhalten hatte.
      Ehe wir unser Endziel Kopenhagen erreichten, lief die «Disco» den Hafen von Stockholm an. Hier ließ mich der Kapitän sofort in eine urologische Klinik bringen. Die Diagnose war vernichtend: «Ihre Blase ist so stark geschädigt, daß Sie diese schmerzhafte Krankheit nie wieder ganz los werden.» Damals ahnte ich nicht, wie recht der Arzt hatte. Wie eine Geißel hat diese Krankheit mich jahrzehntelang gequält.
      Nach einem so langen Aufenthalt in Grönland kamen mir europäische Städte bedrückend vor. Ich war völlig verwirrt. Der Anblick so vieler in Kiosken ausliegender Zeitschriften und anderer überflüssiger Dinge, die wir in Grönland überhaupt nicht vermißt hatten, irritierte mich. Ich hatte zwei Kisten mit Büchern mitgenommen und nicht ein einziges gelesen. Der Lärm in den Straßen und die hin- und herhetzenden Menschen machten mich ganz krank. Am liebsten wäre ich wieder umgekehrt - zurück nach Grönland.
      In der letzten Septemberwoche lief die «Disco» in Kopenhagen ein. Dort erwartete mich eine große Überraschung. Meine Eltern schlossen mich in ihre Arme - überglücklich. Ein Journalist fragte mich: «Sind Sie froh, wieder hier zu sein? War es nicht schrecklich in dieser Einöde und Kälte - und die Strapazen, wie haben Sie das nur aushallen können?»
      Gewiß, die Strapazen waren groß gewesen, aber nur, weil wir auf Eisbergen filmen mußten, eine Wahnidee von Fanck. Aber Grönland war wunderbar- so herrlich, daß fast keiner von uns glücklich war, es zu verlassen. Selbst Udet, der Vergnügungen und das Nachtleben mit schönen Frauen liebte, wollte dort bleiben. Einer versicherte dem anderen: Wir kommen wieder - ganz bestimmt in zwei oder drei Jahren. Und es ist nicht nur uns so ergangen - alle Menschen, die einmal in dieser Natur gelebt hatten, sagen und fühlen dasselbe, und einige blieben für immer dort.
      Worin besteht das große Wunder, das dieses Land ohne Bäume ohne Blumen, ohne Vegetation, bis auf das Sumpfgras in den Sommermonaten, so verzaubert? Ich glaube, dieses Wunder ist nicht zu erklären. Alles wirklich Wundersame ist unerklärlich. Der Zauber Grönlands ist wie ein Schleier gesponnen, aus Tausenden von unsichtbaren Seidenfäden. Wir sehen dort anders, fühlen anders. Europas Fragen und Probleme verlieren ihre Bedeutung - sie verblassen. Was uns zu Hause in Erregung versetzte, war uns in Grönland kaum noch bewußt. Ein Riesenballast von überflüssigen, unproduktiven und niemals glücklich machenden Dingen schien ins Meer zu verschwinden - kein Telefon, kein Radio, keine Post und kein Auto -, auf all das kann man verzichten.
      Und wir hatten Zeit - unser eigentliches Leben wurde uns wieder geschenkt.

    Hotel Kaiserhof

    W ieder in Berlin. Das erste war ein Gang zu meinem Hausarzt Dr. Oskar Lubowski, übrigens einem Bruder meines unglücklichen Verehrers aus der Jugendzeit, Walter Lubowski. Ihre Schwester Hilda, eine Schönheit, war mit dem Bildhauer Thorak

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