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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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verheiratet, der sich aber leider, weil sie Jüdin war, von ihr trennte. Sie lebte später mit ihrer Familie in Holland. Oskar war ein wunderbarer Arzt. Schon seit dem «Heiligen Berg» behandelte er mein Blasenleiden, bisher immer mit Erfolg. Aber wenn ich wochenlang in so extremer Kälte wie beim «Piz Palü» oder während der Stürme in Grönland filmen mußte, brach die Krankheit wieder aus.
      Auch dieses Mal trat schon nach zwei Wochen eine Besserung ein. Freunde besuchten mich zu Hause und erzählten, was während meiner Abwesenheit geschehen war.
      Hitler war noch nicht an der Macht, und seine Partei hatte Rückschläge erfahren: An den Litfaßsäulen war wieder eine Rede Hitlers im Sportpalast angekündigt. Ich hatte ihm versprochen, über Grönland zu berichten, und rief deshalb im «Hotel Kaiserhof» an, wo ich Herrn Schaub oder Herrn Brückner verlangte. Dieses Mal meldete sich Schaub, der sich etwas mürrisch gab. Ich bat ihn, Hitler zu sagen, ich sei aus Grönland zurück. Schon nach wenigen Stunden kam ein Anruf. Nun war Brückner am Apparat. Er fragte, ob ich am Nachmittag etwas Zeit hätte, Hitler würde gern mit mir Tee trinken. Wir vereinbarten fünf Uhr.
      Als ich im «Hotel Kaiserhof» mit dem Fahrstuhl hinauffuhr, fiel mir ein kleiner Mann mit hagerem Gesicht und großen dunklen Augen auf, der mich ungeniert fixierte. Er trug einen Regenmantel und einen Filzhut. Es war Dr. Goebbels, der spätere Propagandaminister, wie ich nachher erfuhr. Er stieg in derselben Etage aus. Herr Brückner, der mich schon erwartete, begrüßte auch den mir Unbekannten und sagte: «Doktor, der Führer ist noch beschäftigt, nehmen Sie solange Platz im Salon.»
      Dann brachte Brückner mich in Hitlers Arbeitszimmer, es lag in der ersten Etage. Hitler kam mir entgegen und begrüßte mich unbefangen und herzlich. Seine ersten Worte waren: «Was haben Sie alles in Grönland erlebt?»
      Nachdem ich ihm begeistert von meinen Eindrücken und Erlebnissen in Grönland erzählte und ihm Fotos gezeigt hatte, kam Brückner herein und sagte: «Dr. Goebbels wartet im Salon.»
      Hitler unterbrach ihn: «Sagen Sie dem Doktor, ich komme bald.»
      Hitler wollte mehr wissen, und ich war von unserer Expedition noch so erfüllt, daß ich soviel sprach, als würde ich einen Vortrag über Grönland halten.
      Wieder erschien Brückner und drängte Hitler zum Aufbruch. Nun erhob er sich und sagte höflich: «Entschuldigen Sie, Fräulein Riefenstahl. Sie haben so fesselnd erzählt, daß ich beinahe zu meiner Wahlversammlung zu spät gekommen wäre.»
      Inzwischen erschien Schaub mit Hitlers Mantel. Während sich Hitler anzog, sagte er zu Brückner: «Nehmen Sie Fräulein Riefenstahl in Ihrem Wagen zum Sportpalast mit, ich gehe schnell zum Doktor.»
      Verwundert fragte ich: «Was hat das zu bedeuten?»
      Brückner: «Der Führer nahm an, daß Sie auch zum Sportpalast gehen, aber wegen der Verspätung nicht mehr hinkommen, deshalb soll ich Sie mitnehmen. Warten Sie hier einen Augenblick, ich hole Sie gleich.»
      Nun geschah alles in größter Eile. Ich wurde in einen Wagen gesetzt, in dem auch zwei Damen saßen, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere.
      Von der Veranstaltung im Sportpalast sind mir keine Einzelheiten im Gedächtnis geblieben. Ich erinnere mich nur, daß alles ganz ähnlich war wie bei der ersten Hitlerrede, die ich vor meiner Grönlandreise erlebt hatte. Die gleichen begeisterten Massen, die gleichen beschwörenden Worte Hitlers. Er sprach frei, ohne Konzept. Mit akzentuierter Schärfe peitschten seine Worte auf die Zuhörer nieder. Fast dämonisch suggerierte Hitler ihnen, er würde ein neues Deutschland schaffen, er versprach das Ende der Arbeitslosigkeit und Not. Als er sagte: «Gemeinnutz geht vor Eigennutz», traf mich das im Innersten. Bisher hatte ich vor allem an meine persönlichen Interessen gedacht und mir wenig Gedanken über andere Menschen gemacht, ich hatte ganz egozentrisch gelebt. Ich fühlte mich beschämt und wäre in diesem Augenblick bereit gewesen, Opfer für andere zu bringen. Vielleicht war ich nicht die einzige, die so empfand. Womöglich haben sich aus diesem Grund viele der Suggestion Hitlers nicht entziehen können.
      Nach der Rede hatte ich nur einen Gedanken, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Es war fast eine Flucht. Ich wollte nicht in etwas hineingezogen werden, was meine Unabhängigkeit gefährden konnte.
      Am nächsten Tag erhielt

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