Memoiren 1902 - 1945
wünschte Hitler die Fotos zu sehen. Beim Betrachten der Bilder sagte er: «Schauen Sie, Hoffmann, das sind Aufnahmen, die eine Komposition haben, aber Sie knipsen mir viel zuviel herum - lieber weniger, aber gut.»
Ich wurde rot - taktvoll war das nicht, und ich verteidigte Hoffmann: «Diese Bilder sind nicht mit seinen zu vergleichen. Herrn Hoffmanns Aufgabe ist das schnelle Festhalten von aktuellen Ereignissen, da kann man nicht auf Komposition achten.» Hoffmann blinzelte mir erfreut zu.
Unterdessen hatte sich Hanfstaengl an meinen Flügel gesetzt und improvisierte einige Melodien. Da bemerkte ich, daß Hitler an meinem Schreibtisch in einem Buch blätterte. Als ich näher kam, sah ich, daß es «Mein Kampf» war. Ich hatte einige kritische Bemerkungen an den Rand geschrieben, beispielsweise «stimmt nicht» - «Irrtum»
- «falsch» oder auch «gut». Mir war das einigermaßen unangenehm, aber Hitler schien sich zu amüsieren. Er nahm das Buch, setzte sich und blätterte weiter darin herum. «Das ist ja interessant», sagte er, «Sie sind eine scharfe Kritikerin, aber wir haben ja eine Künstlerin vor uns.»
Diese kleine Episode hat Hitler nie vergessen. Noch nach Jahren, wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, erfuhr ich es in der Reichskanzlei.
Wie in jedem Jahr waren dort über tausend Künstler eingeladen, Musiker, Bildhauer, Architekten, Schauspieler von Theater und Film.
Sie waren aus ganz Deutschland zusammengekommen. Ich kam ziemlich spät. In den verschiedenen, großzügig angelegten Räumen hatten sich überall Gruppen gebildet. In einem von ihnen sah ich einen größeren Kreis von Menschen. Als ich hinzutrat, sah ich Hitler in der Mitte stehen. Vor Schreck wäre ich fast zu Boden gesunken, als ich hörte, wie er von den kritischen Bemerkungen erzählte, die er in meinem Exemplar gefunden habe. Nicht genug damit. Er sprach auch von unserer ersten Begegnung an der Nordsee, als ich ihm sagte, ich könnte nie in die Partei eintreten. Er trug dies wie ein Schauspieler vor, in dem er unseren Dialog komödiantisch imitierte. Als man mich entdeckte, konnte ich mich vor den Umarmungen meiner Kollegen kaum retten.
6. November 1932
B ald erhielt ich wieder eine neue Einladung von Frau Goebbels. Ich hatte mich sehr verspätet und war überrascht, nur wenige Gäste anzutreffen. Nun erfuhr ich erst, daß dies ein besonderer Tag war, der Wahlsonntag, an dem ein neuer Reichstag gewählt wurde. Sein Ausgang sei für die Partei entscheidend. Es war der 6. November 1932. Ich hatte noch nie gewählt und mich auch dieses Mal nicht an der Wahl beteiligt. Wieso man mich eingeladen hatte, blieb mir ein Rätsel.
Es war schon Abend. Den Mienen der Anwesenden sah man an, daß die Nachrichten schlecht waren. Es herrschte eine fast unerträgliche Spannung. Als der Rundfunk immer weitere Einbußen der NSDAP und Erfolge der Kommunisten meldete, waren alle sehr niedergeschlagen. Nach den letzten Ansagen ging Dr. Goebbels in ein Nebenzimmer, man konnte hören, wie er mit Hitler in München telefonierte, aber ich konnte nur ein paar Wortfetzen verstehen. Bei Bekanntgabe des vorläufigen Endresultats gegen Mitternacht hatte Dr. Goebbels einen versteinerten Ausdruck. Zu seiner Frau sagte er: «Wir gehen schweren Zeiten entgegen - aber wir haben schon schlimmere Krisen überwunden.»
Ich hatte das Gefühl, er glaubte selbst nicht an das, was er da sagte.
Am nächsten Abend fuhr ich nach München. Ich sollte im «Atlantik»-Kino am Isartor anläßlich einer Neuaufführung vom «Blauen Licht» einen Vortrag halten. Gerade als ich meine Schlafwagentür schließen wollte, sah ich Dr. Goebbels draußen im Gang stehen. Er war ebenso überrascht wie ich und bat, sich einen Augenblick zu mir setzen zu dürfen. Er wollte Hitler in München treffen und sprach von seinen persönlichen Sorgen und den Machtkämpfen in der Partei. Als er bemerkte, wie ahnungslos ich war, wechselte er sein Thema und kam merkwürdigerweise auf Homosexualität zu sprechen. Er sagte, Hitler habe eine extreme Abneigung gegen homosexuelle Männer, er selbst sei toleranter und verurteile nicht alle gleich.
«Meiner Ansicht nach», sagte ich, «sind die Anlagen beider Geschlechter mehr oder weniger bei allen Menschen vorhanden, vielleicht besonders ausgeprägt bei Künstlern - das hat aber doch nicht das Geringste mit Schuld oder Minderwertigkeit zu tun.» Goebbels stimmte mir überraschenderweise zu.
Als ich
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