Memoiren 1902 - 1945
Proviant gestürzt. Jetzt gingen sie dazu über, die Zelte einzureißen und unser Leder- und Pelzzeug zu fressen. Meine Bergstiefel hatten schon dran glauben müssen, und nicht einmal meine Leica, deren Lederetui die Hunde angezogen hatte, war vor ihrer Freßgier sicher. Wir bauten große Steinmauern um die Zelte, und trotzdem vermißte ich eines Tages meine Seehundhose, mein schönstes Filmkostüm. Unter meinem Schlafsack glaubte ich sie besonders sicher, aber die Hunde fanden sie auch dort.
Wieder vergingen zwei Wochen bei trostlosem Wetter. Die Tage wurden immer kürzer, die Nächte eiskalt. Langsam bekamen wir eine Ahnung von der Einsamkeit der Polarnächte. Als sich das Wetter besserte, machten wir unsere ersten Aufnahmen mit Tommy. Der Eisbär wurde mit seinem Käfig ins Boot gelassen, wir nahmen Gewehre mit und fuhren einige Stunden hinaus ins Meer, damit der Bär, wenn er ausgesetzt wurde, nicht ans Land zurückschwimmen konnte. Er mußte wieder eingefangen werden, da er für weitere Aufnahmen gebraucht wurde, und wir uns der dänischen Regierung gegenüber verpflichtet hatten, keine Bären in Grönland in Freiheit zu lassen. Bären, die schon in Europa waren, können Trichinen haben, und das würde, wenn der Bär von einem Eskimo erlegt wird, verhängnisvolle Folgen haben.
An einem Eisberg, der uns geeignet schien, öffneten wir die Falltür des Käfigs, und Tommy war mit einem Satz draußen. Zuerst noch etwas schwach, verbesserte er schnell seine Form und turnte auf die höchste Spitze des Eisberges hinauf, so daß wir gute Aufnahmen von ihm bekamen. Dann lockte ihn das Wasser, und er schwamm schneller davon, als wir ihm folgen konnten. Immer wieder entwischte er uns. Stundenlang mußten wir ihm nachfahren, aber er ließ sich nicht einfangen. Nachdem wir einen ganzen Tag lang unterwegs waren und den Bären noch immer nicht hatten einfangen können, waren wir vollkommen erschöpft. Tommy legte sich auf einem Eisberg schlafen, wir auf unserem Boot.
Als wir wach wurden, war der Eisbär ausgerückt. Für Tommy eine gute Sache, für uns weniger. Wieder suchten wir viele Stunden mit unserem Boot das Wasser ab, und endlich, auf einer kleinen Felseninsel, ganz nahe dem Ufer, fanden wir Tommy wieder - im tiefsten Schlaf. Unser Eskimo Tobias konnte dem Bären eine Schlinge um den Hals werfen und ihn wieder in den Käfig sperren.
Ich hatte mich bei dieser langen polarherbstlichen Eisbärenjagd so schwer erkältet, daß ich hohes Fieber bekam und Koliken meinen Körper schüttelten. Ein Unglück, denn von mir war noch nicht eine einzige Szene aufgenommen worden, und unser schlauer dänischer Expeditionsarzt hatte weder Morphium noch andere Schmerzmittel dabei, auch keine sonstigen Medikamente, die mir hätten helfen können. «Dieser Kerl», sagte Fanck wütend, «hat nur verrostete Tripperspritzen bei sich.» Er beschloß, daß ich mit einem Flugzeug nach Umanak gebracht werde. Dort gab es wenigstens ein kleines Kinder
krankenhaus.
Nach einer Stunde Flug steuerte die Maschine auf die Siedlung zu. Wir überflogen das Dach des Krankenhauses und wollten landen, aber der plötzlich aufkommende Sturm ließ das nicht zu. Der Wellengang war so heftig, daß er die Schwimmer der Maschine zerschmettert hätte. Es blieb nichts anderes übrig, als wieder umzukehren. Eine dramatische Situation. Meine Schmerzen wurden immer unerträglicher, und wir hatten die Szenen mit mir noch vor uns.
Was blieb mir übrig, als zu versuchen, trotz Fieber und Schmerzen wenigstens die wichtigsten Szenen zu spielen - vor allem die mit Udet. Trotz meines Zustandes wurden diese Arktisflüge zu einem unvergeßlichen Erlebnis. Udet flog durch Eistore und stieg an den Eiswänden steil aufwärts, um sich gleich wieder fallen zu lassen. Doch einmal ging mir bei diesen Aufnahmen der Atem aus. Udet wollte durch zwei riesige, ganz nahe beieinanderstehende senkrechte Eistürme hindurchfliegen, dabei sah er erst im letzten Augenblick, daß noch ein dritter Turm dahinter stand. Im Bruchteil einer Sekunde riß er das Flugzeug herum und schoß mit schief gestellter Maschine zwischen den Eistürmen hindurch. Ich glaubte, mein Herz bleibt stehen.
Nach diesen Aufnahmen blieb für Udet und mich nur noch eine Szene zu filmen - die schwerste, auf die aber Fanck nicht verzichten konnte. Sie war dramaturgisch unentbehrlich. Ich hätte gedoubelt werden können, was für Fanck jedoch undenkbar war. Das Drehbuch verlangte, ich mußte als
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