Memoiren 1902 - 1945
ich überraschend von Frau Goebbels, die ich noch nicht kannte, eine Einladung. Eigentlich widerstrebte es mir, hinzugehen, aber mein Interesse, dort mehr über Hitler zu erfahren, war stärker. Ich hatte mich nicht getäuscht. Als ich in die Wohnung am Reichskanzlerplatz kam, befand sich auch Hitler unter den vielen Gästen. Nichts erinnerte mehr an den fanatischen Redner von gestern.
Wie ich von Frau Goebbels, die man neidlos eine Schönheit nennen konnte, erfuhr, wurde ein solches geselliges Beisammensein immer dann arrangiert, wenn Hitler sich nach anstrengenden Wahlreisen im Kreise der Familie Goebbels in Berlin entspannen wollte. Bei diesen Gelegenheiten wurden vor allem Künstler eingeladen.
Hier traf ich auch Hermann Göring, der damals noch nicht so beleibt war wie später als Reichsmarschall. In Zeitungen hatte er über meine Flüge mit Udet in Grönland gelesen und wollte nun gern mehr über unsere Zusammenarbeit wissen. Es interessierte ihn sehr - Sie waren ja Fliegerkameraden. Göring hatte seit 1918 mit Udet keinen Kontakt mehr gehabt.
Dann entdeckte mich Dr. Goebbels, und wieder spürte ich diesen merkwürdigen Blick. Er stellte mir einige Künstler vor. Mit geistreichen Wortspielen und sprühendem Witz war er ein glänzender Unterhalter. Trotzdem hatte ich, ohne es begründen zu können, in seiner Nähe ein ungutes Gefühl. Sein Gesicht war nicht uninteressant, auffallend die großen dunklen Augen, seine hohe Stirn, dichtes dunkles Haar und gepflegte Hände. Die untere Gesichtshälfte, besonders der Mund, wirkte etwas vulgär. Merkwürdig, daß dieser Mann eine so schöne Frau hatte. Magda Goebbels war eine Dame, distanziert und selbstsicher, eine vorbildliche Gastgeberin, die sofort meine Sympathie gewann.
Die Gäste - etwa vierzig bis fünfzig - waren mir unbekannt. Über Politik wurde wenig gesprochen, Hauptthema waren Theater und andere kulturelle Ereignisse.
Mit Hitler, dessen Nähe ich mied, hatte ich nur wenige Worte gewechselt. Er saß fast den ganzen Abend auf einem kleinen Sofa und unterhielt sich intensiv mit Gretl Slezak, der Tochter Leo Slezaks, einer bekannten jungen Sängerin, mit der er, wie es hieß, seit längerer Zeit befreundet war. Ich kannte sie nur von der Bühne und hatte sie in einigen Operetten gesehen. Sie war blond, etwas mollig, aber eine hübsche Erscheinung mit viel Temperament.
Bevor ich mich kurz vor Mitternacht verabschiedete, kam Hitler auf mich zu und stellte die überraschende Frage, ob er morgen mit seinem Fotografen Heinrich Hoffmann auf einen kurzen Sprung bei mir vorbeikommen könnte; ich sollte Hoffmann meine Aufnahmen vom «Blauen Licht» zeigen. Auf einen solchen Besuch war ich nicht vorbereitet, deshalb fragte ich beklommen: «Geht es nicht übermorgen?»
«Leider nein», sagte Hitler, «Hoffmann und ich müssen morgen abend nach München zurück, und wir kommen so bald nicht wieder nach Berlin.»
Ich dachte an meinen winzigen Fahrstuhl und sagte: «Ich wohne im fünften Stock, und der Fahrstuhl im Haus ist sehr klein.»
Hitler lachte: «Wir schaffen es auch ohne Fahrstuhl.» Ich hatte keine Visitenkarte bei mir und schrieb meine Adresse auf einen Zettel.
Am nächsten Tag wartete ich aufgeregt auf den Besuch. Mein Mädchen hatte Tee vorbereitet und den Kuchen selbst gebacken. Pünktlich um fünf Uhr läutete es. Außer Hitler und Heinrich Hoffmann waren auch noch Dr. Goebbels und ein Herr Hanfstaengl mitgekommen. Als sie mein Atelier betraten, blieben Hitlers Augen auf den Kohlezeichnungen von Käthe Kollwitz hängen.
«Das gefällt Ihnen?» fragte er.
«Ja - Ihnen nicht, Herr Hitler?»
«Nein», antwortete er, «die Bilder sind zu traurig, zu negativ.»
Ich widersprach: «Ich finde die Zeichnungen ergreifend, der Ausdruck von Hunger und Not in dem Gesicht der Mutter und des Kindes ist genial gestaltet.»
Hitler sagte: «Wenn wir an die Macht kommen, wird es keine Not und kein Elend mehr geben.»
Dann wandte er sich von den Bildern ab, und mein Mädchen servierte den Tee. Die Worte Hitlers mochte ich nicht, sie machten mich betroffen - ich sah, daß er wenig oder nichts von Malerei verstand. Fanck, der mir diese Bilder geschenkt hatte und dem ich von dem bevorstehenden Besuch Hitlers erzählte, hatte mir geraten, die Kollwitz-Zeichnungen von der Wand zu nehmen. Ich habe es aber mit Absicht nicht getan, weil ich Hitlers Reaktion sehen wollte.
Nach einer kurzen Unterhaltung
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