Memoiren 1902 - 1945
am nächsten Mittag in München von einer Lichtprobe im «Atlantik»-Kino in das Hotel zurückkehrte, rief Dr. Goebbels an. Er fragte, ob ich ihn zu der Besprechung mit Hitler begleiten möchte. Ich zögerte. Ich bekam langsam das Gefühl, in politische Dinge hineingezogen zu werden, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Andererseits war dies eine Gelegenheit, Hitlers Reaktion auf das Wahlergebnis persönlich zu erfahren.
Tatsächlich wurde ich Zeuge einer historischen Stunde. Das Treffen fand in dem Hinterzimmer einer im bayrischen Stil eingerichteten Gaststätte statt, im »Sternecker«, wie ich später erfuhr. Als ich mit Goebbels den Raum betrat, erhoben sich ungefähr acht bis zehn Männer, die an einem runden Holztisch saßen. Hitler, dessen Gesicht stark gerötet war, begrüßte mich wie immer mit Handkuß und stellte mir die anderen vor, von denen mir nur der Name Wagner in Erinnerung geblieben ist. Er wurde später Gauleiter von München.
Meine Erwartung, einen niedergeschlagenen Hitler zu sehen, war falsch. Ich staunte nur. Hitler redete, als sei er der Wahlsieger. Die Mienen der um ihn versammelten Männer, die vorher deprimiert und verdrossen waren, hellten sich zusehends auf. Und schon nach kurzer Zeit gelang es Hitler, ihnen wieder Mut zu machen und sie zu überzeugen, sie würden trotz dieser momentanen Niederlage bald an die Macht kommen.
«Bei den nächsten Landtagswahlen in Lippe», sagte er, «müssen wir in jedes Haus gehen, um jede Stimme ringen - wir werden diese Wahl gewinnen und damit endgültig den Durchbruch erringen. Nur die Schwachen sind von uns abgefallen, und das ist gut!»
Es gelang ihm sogar, den recht mutlos wirkenden Goebbels umzustimmen. Noch nie hatte ich jemand kennengelernt, der eine solche Überzeugungskraft besaß und Menschen so beeinflussen konnte. Ein Grund für mich, trotz der Faszination, die dieser Mann ausübte, seine Nähe möglichst zu meiden.
Hitler am Ende
I ch war wieder in Berlin, entschlossen, mich nur noch mit meinen zukünftigen Aufgaben zu beschäftigen und mich nicht durch politische Abenteuer ablenken zu lassen. Ich hatte verschiedene Angebote erhalten, und einige waren auch reizvoll. Aber noch war ich nicht frei. In wenigen Wochen sollten am Bernina-Paß die Spielszenen für den Grönlandfilm fertiggestellt werden.
Durch einen Zufall traf ich doch noch einmal in diesem Jahr mit Hitler zusammen - in einer ungewöhnlichen Situation. Nach meinen Kalendernotizen war es am 8. Dezember 1931. Ich hatte ein Konzert besucht und kam auf dem Heimweg durch die Wilhelmstraße. Da hörte ich Zeitungsverkäufer rufen: «Gregor Strasser verläßt Hitler», «Die NSDAP am Ende», «Hitlers Stern untergegangen». Ich kaufte mir die Zeitungen und setzte mich in die Halle des Hotels «Kaiserhof», um diese Sensationsmeldungen zu lesen. Was in den Zeitungen stand, war für Hitler vernichtend. Nun begriff ich erst, was Goebbels mir im Zug von Intrigen und Machtkämpfen in der Partei erzählt hatte. Wie schnell konnte sich alles so extrem ändern? Noch vor einem Monat in München hatte ich die Siegeszuversicht Hitlers miterlebt, und nun sollte ich den Zerfall seiner Hoffnungen erfahren - vielleicht schon das Ende.
Während ich meinen Gedanken nachhing, sagte eine Männerstimme: «Was machen Sie denn hier?» Ich schaute auf. Vor mir stand der lange Brückner.
«Stimmt das, was da in den Zeitungen steht?»
Mit wegwerfender Handbewegung sagte er: «Eine Pressekampagne, nichts weiter», und schon lief er mit großen Schritten auf die Treppe zu. Ich war bestürzt und fühlte, daß sich etwas Ungewöhnliches abspielte. Dann vertiefte ich mich wieder in die Lektüre der Blätter. Mir war weder der Name «Gregor Strasser» noch «General Schleicher» ein Begriff, ich hatte diese Namen nie bewußt gehört. Jetzt sah ich sie in großen Lettern auf den Titelseiten vor mir. Anscheinend war Strasser ein wichtiger Gefolgsmann Hitlers, der nun abgesprungen war und mit seinen Gegnern paktierte.
Wieder stand Brückner vor mir.
«Gut, daß Sie noch da sind», sagte er, «kommen Sie bitte mit, der Führer möchte Sie sehen.» Mir schoß das Blut in den Kopf. In dieser kritischen Situation wollte ich Hitler nicht sehen - ich zögerte, aber dann folgte ich Brückner herzklopfend doch. Wir gingen eine breite, teppichbedeckte Treppe hinauf zur Bel Etage, dort einen Gang entlang, um eine Ecke, und dann stand ich in Hitlers Salon. Brückner ließ
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