Memoiren 1945 - 1987
des Krieges hinaus
einen sehr großen Kapitän des Films. Es gab in unserer Zeit mehrere Olympische
Spiele, aber es gab nur eine wirklich großartig gefilmte Olympiade, und das war
natürlich die, die Leni Riefenstahl machte. Es war in Berlin 1936.
Ich sehe in einer angesehenen Sonntags-Zeitung, daß der Film voll von
‹Nahaufnahmen Hitlers und den Nazi-Führern› war. Glauben Sie nicht ein Wort
davon. Es ist ein großer Filmbericht eines öffentlichen Ereignisses, und nie war ein
anderer Film so großartig im Auffangen der Poesie der athletischen Bewegung.
Das Sonderbare und Ironische von 1936 war, daß es im Zentrum der schrecklichen
Rassentheorien dieser Zeit stattfand. Es war das Jahr der Neger, das Jahr des
fabelhaften Jesse Owens, des amerikanischen Negers, der die Rekorde in so vielen
Sportdisziplinen hinwegfegte.
Leni Riefenstahls Film bringt dies alles großartig — und generös. Der Film war
der größte Sportbericht, den ich jemals im Kino gesehen habe. Es war Leni
Riefenstahls Marathon. Wir sahen viele Marathons, aber diesmal ist auch ein
großer Filmkünstler vorzustellen — und Sie sehen etwas von der Last und der
Agonie der langen aufreibenden Meilen — und man sieht, was kein Film jemals
zuvor oder bis jetzt beschrieb.»
Nach dieser Rede Griersons zeigte das Fernsehen den Marathonlauf und weitere Ausschnitte aus dem Olympiafilm.
Meine englischen Freunde waren über diese sensationelle Sendung sehr froh, besonders Philip, den bei allem Optimismus die Presseangriffe doch besorgt gemacht hatten. Er bat mich, nach London zu kommen.
Nun konnte ich mich bei John Grierson, den ich persönlich noch nicht kannte, bedanken. In einem englischen Club umarmten wir uns wie alte Freunde. Vor allen anwesenden Künstlern zog er mir einen Schuh aus und hauchte einen Kuß auf meine Fußspitze. Es war einfach verrückt — wie sollte ich das alles verkraften. Grierson wollte unbedingt, daß ich prozessierte, er wollte die Kosten übernehmen. «Daily Mail» und andere englische Zeitungen hatten Berichtigungen oder Interviews mit mir gebracht, wodurch glücklicherweise ein Prozeßgrund entfiel. Eine Ausnahme machte der «Daily Mirror», eine der am meisten verbreiteten Zeitungen Englands. Der bekannte Kolumnist «Cassandra» hatte eine böse Reportage über mich geschrieben. Auf ihn hatte es Grierson abgesehen. Er wollte, daß ich ihn und die Zeitung verklage, um, wie er sagte, einen Präzedenzfall zu schaffen.
Mr. Crowe, ein angesehener englischer Anwalt, übernahm den Fall, nachdem er sich an Hand von Unterlagen über die Gewinnchancen informiert harte. Die Stimmung war damals in England nicht sehr deutschfreundlich, verständlicherweise. Im Jahr zuvor waren in verschiedenen deutschen Städten Grabsteine jüdischer Friedhöfe in scheußlicher Weise mit Hakenkreuzen beschmiert worden. Auch meine englischen Freunde bekamen das zu spüren. Als Gast eines befreundeten Ehepaares wohnte ich in Sussex, außerhalb Londons. Jeden Tag warteten vor dem Haus Journalisten, die mich sprechen wollten. Wenn ich dazu nicht mehr imstande war, wurden die Hauswände mit Hakenkreuzen bemalt. Ich wollte sofort abreisen. Meine Freunde ließen es nicht zu.
Auch die ersten Zusammenkünfte mit meinem englischen Anwalt waren alles andere als angenehm. Ich fühlte mich in die Zeit der Verhöre zurückversetzt. Gründlicher noch als bei den Amerikanern und Franzosen mußte ich Hunderte von Fragen beantworten — Fragen, deren Sinn ich oftmals nicht verstand. In den ersten Stunden ließ ich alles geduldig über mich ergehen — aber langsam verlor ich die Geduld, wurde nervös und irritiert. So kam es zu einem peinlichen Zwischenfall. Als Mr. Walters, ein Mitglied der Anwaltskanzlei, mir absolut nicht glauben wollte, daß ich nichts von den Vernichtungslagern gewußt habe, schoß mir vor Zorn und Verzweiflung das Blut in den Kopf — ich verlor jede Kontrolle über mich und sprang ihn, rasend vor Wut, an die Kehle, wie mir das vor vielen Jahren schon einmal passiert war, als die französische Sureté mich zwingen wollte, ein Schriftstück zu unterschreiben, in dem stand, daß ich über die Vernichtungslager informiert war.
Am nächsten Tag fand ich in der Kanzlei einen völlig veränderten Mr. Walters vor. Freundlich und verständnisvoll verliefen von nun an unsere Gespräche. Erleichtert spürte ich, daß jedes Mißtrauen geschwunden war und mein Prozeß gegen «Daily Mirror» in guten Händen
Weitere Kostenlose Bücher