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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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keine Tiere.
      Plötzlich erblickten wir kleine Rundhäuser an den Berghängen, die wie Vogelnester an den Felsen klebten — es konnten nur NubaHäuser sein. Auf einem Felsblock saß ein junges Mädchen, das eine Rute schwang. Es war unbekleidet, nur eine rote Perlenschnur schmückte den schwarzen Körper. Erschreckt schaute es uns an und verschwand wie eine Gazelle im Gebüsch.
      Unsere Müdigkeit verschwand, es kam Bewegung in unsere Gruppe. Im Schrittempo fuhren wir langsam weiter. Große Stille umgab uns, die Sonne begann sich zu verfärben, das Tal war wie ausgestorben. Steine und Wurzeln versperrten uns die Weiterfahrt. Wir wollten schon umkehren, da sahen wir in der Ferne eine Gruppe seltsam geschmückter Menschen. Wir ließen die Wagen stehen und folgten ihnen vorsichtig zu Fuß. Die Schwarzen wurden von mehreren schneeweiß eingeaschten Männern angeführt, die, unbekleidet, einen merkwürdigen Kopfputz trugen. Ihnen folgten andere, deren Körper mit weißen Ornamenten bemalt waren. Am Ende des Zuges gingen Mädchen und Frauen, ebenfalls bemalt und mit Perlen geschmückt. Kerzengerade, auf dem Kopf Kalebassen und große Körbe tragend, folgten sie leichtfüßig der Männergruppe. Kein
Zweifel, das konnten nur die von uns gesuchten Nuba sein. Sie stiegen steil über Geröll und schräge Felsplatten bergauf, dann waren sie plötzlich verschwunden. Ein Felsblock versperrte uns die Sicht. Als wir um ihn herumgingen, sahen wir ein überwältigendes Schauspiel.
      Tausend oder zweitausend Menschen wogten im Licht der untergehenden Sonne auf einem freien, von vielen Bäumen umgebenen Platz. Eigenartig bemalt und seltsam geschmückt, wirkten sie wie Wesen von einem anderen Stern. Hunderte von Speerspitzen tanzten gegen den glutroten Sonnenball. In der Mitte der Menge hatten sich große und kleine Kreise gebildet, in denen sich Ringkampfpaare gegenüberstanden, die sich lockten, kämpften, tanzten und als Sieger auf den Schultern aus dem Ring getragen wurden, wie ich es auf dem Rodgerbild gesehen hatte. Ich war wie betäubt und wußte nicht, was ich zuerst fotografieren sollte. Nicht nur das Optische erzeugte eine erregende Spannung, sondern auch das Akustische. Ein pausenloses Trommeln, darüber das helle Trillern von Frauenstimmen und die Schreie der Menge. Es war wie ein Traum oder ein Spuck. Meine Begleiter hatte ich längst verloren. Ich befand mich mitten unter den Nuba. Hände streckten sich mir entgegen, Gesichter lachten mich an, bald spürte ich, daß ich unter guten Menschen war.
      Ich hatte keine Ahnung, wann wir nach Kadugli zurückkamen. Dieses unglaubliche Erlebnis ließ mich jedes Gefühl für Zeit verlieren. Aus meinem Tagebuch ersehe ich, daß dieses Nuba-Ringkampffest am 16. November 1962 stattfand und wir am 22. Dezember unser Lager in der Nähe einer Nuba-Siedlung, sie hieß Tadoro, aufschlugen. Dort fanden wir unter einem Baum mit einer fast 30 Meter ausladenden Laubkrone einen idealen Platz. Ich konnte es kaum glauben, daß ich hier war. In wundersamer Weise hatte sich nach einem Zeitraum von sechs Jahren mein Wunsch erfüllt, «meine» Nuba zu finden.

    Bei den Nuba

    A ls ich am ersten Morgen erwachte, die Sonnenstrahlen schienen schon durch die Baumkrone, mußte ich mich erst besinnen, wo ich mich befand. Ich lag auf meinem Klappbett unter dem großen Baum — ich hatte geträumt, ich war tatsächlich bei den Nuba. Als ich aus dem Schlafsack kroch, merkte ich, daß es sehr windig war. Wolldekke und Schlafsack flatterten wie ein Segel im Sturm, ich mußte sie festhalten, damit sie nicht davonflogen.
      Nicht weit von mir entfernt, standen ein paar niedliche schwarze Nackedeis, die mich neugierig betrachteten. Ein Bub von vielleicht zehn Jahren kam schüchtern auf mich zu. Er hielt in seinen Händen meine Bluse, meinen Rock und meinen Büstenhalter. Mit einer scheuen Geste reichte er mir meine Kleider, die der stürmische Wind verweht hatte. Aus meiner Tasche holte ich Bonbons heraus. Vorsichtig nahm sie der Kleine aus meiner Hand, lief zu den anderen Kindern, die die Bonbons beschnupperten und sie in ihre Mäulchen steckten. Dann liefen sie lachend auseinander. Während ich den Schlafsack und die Decke in einem Seesack verstaute, beobachtete ich, wie Frauen, die große Körbe auf dem Kopf trugen, ziemlich entfernt von mir auf die weit bis zum Horizont reichenden Felder gingen, die durch das aufgehende Sonnenlicht gelb leuchteten und dadurch einen ungemein starken Kontrast zu den

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