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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Lager eintrafen, stellten wir fest, daß alle unsere Kisten, Säcke und auch mein Bett verschwunden waren. Kein einziger Gegenstand befand sich mehr unter dem Baum. Wir waren zutiefst erschrokken. Unser erster Gedanke war, vorbeiziehende Nomaden hätten alles gestohlen. Da deutete Luz auf die Berge, von denen eine Kolonne Nuba-Männer die Felsen herunterstieg. Auf ihren Schultern trugen sie unsere Kisten. Ohne Anweisung hatten sie aus freien Stücken unser ganzes Gepäck in ihre Hütten getragen, um sie in Sicherheit zu bringen. Lachend und gestikulierend genossen sie unsere sprachlosen Gesichter und freuten sich über die bescheidene Prise Tabak, die jeder von ihnen zum Dank erhielt. Sie taten das alles damals noch nicht für Geld, das wenige, was sie brauchten, erhielten sie durch Tausch, vor allem die kleinen bunten Glasperlen, auf die sie ganz wild waren, oder der weiße Stoff, mit dem sie ihre Toten beerdigten, und bunte Tücher, die hauptsächlich die «kadumas», so nannten sie ihre Ringkämpfer, trugen. Sie «zahlten» mit Dura-Getreide, Tabak und mit Baumwolle, die aber wegen des Wassermangels nur auf kleinen Flächen angepflanzt wurde.
      Die Ehrlichkeit der Nuba war verblüffend. Einmal hatte ich meine goldene Armbanduhr verloren. Ein Knabe, der sie im Gras gefunden hatte, brachte sie mir zurück. Diese Charaktereigenschaft habe ich nur bei den «Masakin-Nuba» gefunden, und bei ihnen auch nur so lange, als Geld noch kein Zahlungsmittel war, und keine Türen ihre Häuser verschlossen. Groß war auch die Gastfreundschaft. Das Wertvollste, was sie ihren Freunden anbieten konnten, war eine Kalebasse mit Wasser und eine mit den raren Erdnüssen — für die Nuba eine Delikatesse.
      Die Jugend führte ein glückliches, freies Leben. Die Kinder spielten den ganzen Tag im Freien unter schattigen Bäumen und wurden von den älteren Geschwistern beaufsichtigt, gewaschen und gefüttert. Junge Mädchen schleppten die kleinen Babys, auf ihren Hüften tragend, herum, während die Knaben das Vieh hüteten. Nur die Kräftigsten kamen schon im Kindesalter in die Hirtenlager, wo sie zu Ringkämpfern erzogen wurden.
      Ringkampf bedeutete den Nuba mehr als nur Sport. Er war eine kultische Handlung von zentraler Bedeutung. Schon die kleinen Buben begannen, noch ehe sie richtig laufen konnten, die Tanz- und Ringkampfstellungen der Athleten nachzuahmen. Von frühester Jugend an bereitete sich ein Knabe auf den Ringkampf vor. Untereinander hielten sie Wettkämpfe ab und schmückten sich dazu wie ihre älteren Brüder und Väter.
      Ort und Zeit eines Ringkampfs entschied der Priester, der «Kudjur», mit dem Ältestenrat. Danach wurden Boten ausgesandt, um überall die Einladung zu verkünden. Einige dieser Ringkampffeste, die oftmals weit von uns entfernt in entlegenen Tälern stattfanden, konnte ich mit den Nansens erleben. Jedesmal von neuem ein
großes Ereignis. Am frühen Morgen setzte sich, ausgenommen Kinder und alte Leute, die ganze Hügelgemeinschaft von Tadoro in Bewegung, geschmückt mit Perlen, Asche, Fellschmuck und Kalebassen, welche die Ringkämpfer meist rückwärts an ihre Gürtel banden. Dem Zuge wurde die Fahne des Dorfes vorangetragen, das Ende beschlossen die Frauen, auf ihren Köpfen die schweren Töpfe mit Wasser und Marissebier balancierend. An einem großen Ringkampffest nahmen etwa viertausend Nuba teil, wobei sie Strekken bis zu fünfzig Kilometern zurücklegten.
      Den Beginn der Kämpfe leiteten kultische Handlungen ein. Die Ringkämpfer stampften auf den Boden, stießen dumpfe Laute aus, mit, denen sie die Rufe der Stiere imitierten, und bewegten im Tanz die Hände, besser gesagt die Finger, mit einer Geschwindigkeit, wie große Insekten ihre Flügel. Näherten sich die Ringkämpfer tanzend und brüllend dem Kampfplatz, gerieten die Zuschauer in Ekstase. Die Nuba nennen das «kaduma norzo», zu deutsch: die Ringkämpfer «heulen». In diesem Stadium inkarnieren sie sich mit ihren Rindern — ein uraltes Nuba-Ritual.
      Je länger die Kämpfe dauerten, um so leidenschaftlicher wurden sie. Manche dauerten nur Sekunden, andere mehrere Minuten. Wenn die Zuschauer zu nahe an die Kämpfenden herankamen und dadurch den Kampf behinderten, drängten Schiedsrichter sie mit Rutenzweigen zurück. In solchen Augenblicken war es so gut wie unmöglich zu fotografieren, erst, wenn die Sieger auf den Schultern aus dem Ring getragen wurden, konnte ich mit etwas Glück einige Bilder

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