Memoiren 1945 - 1987
bekommen.
Abschied
V iel zu schnell kam der Tag, an dem ich mich von den Nuba trennen mußte. Die Nansen-Gruppe konnte nicht länger als sieben Wochen in Tadoro bleiben, und da ich weder ein Fahrzeug noch eine eigene Expeditionsausrüstung besaß, mußte ich mich notgedrungen von meinen schwarzen Freunden trennen. Der Abschied war schwer. Als die Wagen langsam anfuhren, liefen sie uns nach, ich schüttelte ihnen zum letzten Mal die Hände und rief ihnen zu: «Leni basso, Leni robrära» (Leni kommt in zwei Jahren zurück). Ich glaubte nicht an meine Worte, ich wollte ihnen nur eine letzte Freude bereiten.
Zwei Tage später waren wir in Malakal, wo sich die Gruppe von mir trennte. Endlich war ich allein und glücklich über meine Freiheit. Malakal ist eine kleine Stadt am Nil, einige hundert Kilometer von den Nuba entfernt. Die Bevölkerung besteht aus Sudanesen, vor allem sah ich hier viele Schilluk, Nuer und Dinka. In einem leerstehenden Rasthaus fand ich eine Unterkunft, primitiver als in Kadugli. Mäuse und Ratten liefen herum, und die Tür zur Straße war nicht verschließbar. Von hier wollte ich mit dem Nildampfer, der einmal wöchentlich in Malakal anlegt, nach Juba fahren, der südlichsten Stadt des Sudan, ungefähr 120 Kilometer von der Grenze nach Uganda entfernt. Von dort wollte ich weiter nach Kenya, da mein Rückflugticket nach Deutschland ab Nairobi galt.
Als ich auf dem Markt in Malakal einige Früchte und Zwiebeln einkaufte, kam ein sudanesischer Soldat auf mich zu. Seinen Gesten entnahm ich, daß er mir etwas zeigen wollte. Er führte mich zu einem Haus, in dem ich von einem hohen sudanesischen Offizier, dem Gouverneur der Upper Nile Provinz, Colonel Osman Nasr Osman, begrüßt wurde. Er war über meine Anwesenheit in Malakal bereits informiert und lud mich nun in sein Haus zum Essen ein. Ich mußte ihm viel über meine Erlebnisse bei den Nuba erzählen. Seine tolerante Einstellung gegenüber den Eingeborenen versetzte mich in Erstaunen, besonders weil er Nordsudanese war und damals zwischen Nord- und Südsudanesen schon starke Spannungen herrschten.
Nach den Entbehrungen der letzten Wochen war die Mahlzeit ein unvorstellbarer Genuß. Beim Café machte mir der Gouverneur einen überraschenden Vorschlag. «Wenn Sie Lust haben», sagte er, «können Sie die Schilluks fotografieren, ich fahre in wenigen Tagen nach Kodog und besuche dort den Schilluk-König. Aus diesem Anlaß soll ein großes Fest der Schilluk-Krieger stattfinden. Wollen Sie nicht mitkommen?»
Erfreut nahm ich die Einladung an. In Malakal hatte ich noch einiges zu erledigen. Ich verpackte meine belichteten Filme, die ich von hier per Luftpost absenden konnte, aber ich zitterte bei dem Gedanken, die Aufnahmen könnten verlorengehen. Bei der enormen Hitze wäre es noch riskanter gewesen, sie mitzunehmen. Meiner Mutter schickte ich ein Telegramm, um sie vor allem über meinen Gesundheitszustand zu beruhigen, und in der Tat fühlte ich mich trotz starkem Gewichtsverlust gesund wie seit Jahren nicht.
Während ich über das Problem meiner Weiterreise grübelte, quar
tierten sich zwei Fremde in dem Rasthaus ein, ein Deutscher und ein Engländer, die mit einem alten VW-Bus auf dem Weg nach Kampala in Uganda waren. Ein glücklicher Zufall. Für entsprechende Kostenbeteiligung war der Deutsche bereit, mich mitzunehmen.
Den beiden Männern war es zu langweilig, die ganze Woche in Malakal herumzuhängen, nur um auf den Nildampfer zu warten. So war es leicht, sie für eine Reise in das Schilluk-Gebiet zu interessieren, zumal Kodog, die Hauptstadt, nur knapp 100 Kilometer nördlich von Malakal entfernt liegt.
Bei den Schilluk
W ir hatten mit dem Fährboot den Nil überquert und waren in noch nicht einmal drei Stunden in Kodog, einen vollen Tag früher, als der Gouverneur erwartet wurde. Wie bisher immer im Sudan, wurden wir auch hier mehr als nur freundlich aufgenommen. Das Rasthaus, das uns Sayed Amin el Tinay, der D. C. Offizier, zur Verfügung stellte, war gut eingerichtet. Alle Fenster waren gegen Moskitos mit Maschendraht gesichert.
In den Nuba-Bergen hatte ich wegen der großen Trockenheit nie ein Moskitonetz gebraucht, hier am Nilufer waren die Moskitos und Stechmücken eine Qual. Selbst in der Nacht fand ich keine Ruhe. Aber schon der nächste Tag, der große Festtag für den Empfang des Gouverneurs, verlief so ereignisreich, daß ich Stiche und Schwellungen nicht mehr beachtete. Schon am frühen
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