Memoiren 1945 - 1987
von einem Schilluk begleitet, hier erschien. Keiner der Sudanesen sprach englisch und ich nicht arabisch, aber ich entdeckte das Telefon und gab zu verstehen, ich wollte den Gouverneur Osman Nasr Osman sprechen. Das verstanden sie auch. Einer der Polizisten ging ans Telefon, und ich entnahm dem Gespräch, man würde mich abholen. Obwohl ich mit dem Schlaf kämpfte, hörte ich ein Auto kommen. Herein kam der Adjutant des Gouverneurs, ein junger Offizier, den ich schon gesehen hatte. Nachdem ich von unserer Havarie erzählt hatte, sagte er: «Kein Problem, morgen holen wir den Wagen aus dem Sumpf.» Dann brachte er mich in ein kleines Hotel, das sich draußen am Flughafen befand.
Am Morgen um sieben Uhr standen drei Militär-Lastwagen vor dem Hotel. Die erste Fähre brachte uns über den Nil. Bald darauf fanden wir unseren Wagen. Der Deutsche und der Engländer saßen unter einem Moskitonetz und frühstückten. Keine Miene verriet Freude oder Überraschung. Die Soldaten hatten in wenigen Minuten den Wagen mit Schleppseilen herausgezogen und auf trockenen Boden gestellt. Am Tage konnte man auch gut erkennen, wo der Straßenrand aufhörte und der Sumpf begann. Nachdem ich mich vielmals bedankt hatte, fuhren die Militärwagen wieder zurück nach Malakal.
Bei Sonnenschein sah jetzt alles freundlicher aus als gestern in der Dämmerung. Trotzdem war kein Lächeln in dem Gesicht des Deutschen zu entdecken. Das Moskitonetz, die zwei Klappstühle und der Proviant wurden verpackt, dann kommandierte der Deutsche: «Einsteigen!» Ich bekam Herzklopfen. Nach welcher Richtung würde er fahren — zurück zum Nil oder zu den Nuba-Bergen?
Ich atmete auf. Er fuhr Richtung Nuba-Berge.
Wiedersehen mit den Nuba
E ine Stunde vor Mitternacht kamen wir in Tadoro an. Der Wagen hielt unter «meinem» Baum. In weniger als zwei Tagen hatte der Deutsche es geschafft — eine anerkennenswerte Leistung — mit diesem alten VW-Bus. Es war totenstill, nur einige Hunde bellten. Meine Begleiter legten sich todmüde schlafen, der Deutsche im Wagen, der Engländer in seinem winzigen Zelt. Ich stellte mein altes Klappbett dort auf, wo es vor zwei Monaten gestanden hatte. Die Strohhütte, welche die Nuba, nur wenige Meter von dem Baum entfernt, gebaut hatten, war nicht mehr da.
Während ich mit meinem Gepäck beschäftigt war, vernahm ich Stimmen. Gestalten konnte ich noch nicht erkennen. Sollten dies meine Nuba sein? Plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, standen sie vor mir, und nun hörte ich sie rufen: «Leni — Leni, giratzo!» (Leni ist zurückgekommen.)
Sie umringten mich, drückten mir die Hände, weinten und lachten. Erst wenige, dann wurden es mehr und mehr. Die Männer und Frauen umarmten mich, die Kinder zupften an meiner Kleidung, der Jubel war unbeschreiblich. Ich war glücklich, überglücklich. So hatte ich mir das Wiedersehen gewünscht, aber es übertraf meine Vorstellung. Nach wenigen Minuten kamen Natu und Alipo, Tukami, Napi und Dia. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von meiner Rückkehr verbreitet.
Von meinen Nuba-Freunden geführt, stiegen wir noch in dieser Nacht über einen Felsweg zum Haus von Alipo und setzten uns vor dem Eingang auf den Steinen nieder. Alipos Frau brachte einen großen Topf Marissa. Mir war, als wäre ich in meine Heimat zurückgekehrt. Die Nuba wollten wissen, wie lange ich bleiben würde, wer die beiden Fremden wären und ob ich in «Alemania» gewesen war. Da sie Deutschland schwer aussprechen konnten, habe ich, wenn sie mich nach meiner Heimat fragten, immer «Alemania» gesagt. Wir lachten und redeten, bis ich müde wurde. Dann brachten sie mich wieder zu meinem Lagerplatz.
Am nächsten Morgen waren meine Begleiter seltsam schweigsam. Nachdem der Deutsche mir mein Frühstück gegeben hatte, Tee, Brot und Marmelade, sagte er mit steinerner Miene: «Wir können hier nicht vier Wochen bleiben, wir müssen schon in weni
gen Tagen wieder weiter.» Ich war entsetzt.
«Das ist unmöglich», rief ich erregt, «Sie müssen die vereinbarte Zeit hierbleiben, Sie haben doch schon für vier Wochen das Geld bekommen.» Meine Worte machten auf den Deutschen nicht den geringsten Eindruck. Mir fiel die Warnung des Gouverneurs ein, er hatte recht gehabt. Ich hatte weder einen Wagen noch die notwendigen Geldmittel und war den Kerlen ausgeliefert. Die Nuba verstanden, daß die Fremden nicht sehr freundlich zu mir waren, und trugen kurz entschlossen mein Bett und meine
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