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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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vielen weißen Tüchern zugedeckt. Drei Frauen, die Großmutter, die Mutter und die Schwester, saßen auf dem Totenbett und sangen schluchzend ihre Klagelieder, auch die jungen Männer, die in die Hütte kamen, weinten hemmungslos. Auch ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Zwei Frauen schütteten den Inhalt ihrer Körbe über den Toten, getrocknete Bohnen und Durakörner. Ich wagte, einige Aufnahmen zu machen, niemand versuchte, mich daran zu hindern. Dann ging ich hinaus ins Freie. Auf einer großen Felsplatte stand eine Gruppe von vielleicht zwanzig Männern. Sie sahen wie aus Stein gemeißelte Statuen aus. Es waren die Ringkampffreunde Napis aus den benachbarten Hügelgemeinschaften. In ihren Händen hielten sie die blätterlosen Zweige, die Siegerpreise der Ringkämpfer. Noch seltsamer wirkten einzelne Gestalten, welche sie «Wächter der Toten» nannten. Auch sie standen auf hohen Felsplatten und sollten böse, mit den Winden kommende Geister von den Toten fernhalten. Dort verharrten sie unbeweglich, auf ihre Speere gestützt, bis der Tote ins Tal getragen wurde. Auf ihre Körper hatten sie mit Asche die Linien eines Skeletts gemalt. Auch diese «Totenwächter» waren Ringkämpfer, die mit Napi in der Seribe gelebt hatten.
      Es war alles so phantastisch und unwirklich, ich glaubte, mich auf einem fernen Planeten zu befinden. Es fiel mir nicht leicht, während dieser feierlichen Handlung Aufnahmen zu machen, obgleich es mir zwingend erschien, dieses Ritual einer vergehenden mythischen Kultur in Bildern festzuhalten.
      Auf einem freien Platz hatte sich um eine Rinderherde ein großer Kreis gebildet. Sechsunddreißig Rinder waren als Opfer für den toten Napi ausgewählt, eine unfaßbare Menge, wenn man weiß, wie arm die Nuba sind. Noch ehe das erste Rind durch einen Speerstich ins Herz getötet wurde, verließ ich den Ring.
      Gebannt von dem, was ich erlebte, hatte ich kaum bemerkt, daß die Dämmerung hereingebrochen war. In der Dunkelheit sah alles noch phantastischer aus. Gruppen von Frauen, die sich mit großen Tabakblättern geschmückt hatten, erinnerten an lebende Pflanzen,
ihre bemalten Gesichter an Masken. Sie tanzten, indem sie sich in Kreisen und Linien fortbewegten, wie ein Geisterballett.
      Auf dem kleinen Friedhof in der Nähe der unteren Nuba-Häuser war schon am Morgen ein Grab ausgehoben worden, von außen gesehen nur ein rundes Loch, nicht größer als die kleinen Rundeingänge, die in die Kornhäuser der Nuba führen. Dies sollte einen Schutz für den Toten bedeuten. Einem Fremden würde es kaum gelingen, sich durch ein so kleines Loch zu zwängen. Umrandet war dieser Grabeingang mit weißer Asche, und ähnlich den Grabkammern der Ägypter verbreiterte sich dieses Loch nach unten in Form einer Pyramide, so daß der Tote ausgestreckt dort ruhen konnte und noch genügend Platz für zahlreiche Grabbeigaben vorhanden war.
      Napis Onkel war in das Grab gestiegen, nur seine Hände schauten aus der kleinen Öffnung heraus, und vorsichtig zog er den Toten, eingebunden in weiße Tücher, in die Grabkammer. Kalebassen, gefüllt mit Fleisch, Dura, Erdnüssen und sogar mit Milch, wurden dem Onkel für den Toten in die Grabkammer gereicht — aber nicht nur Lebensmittel, auch persönliche Geschenke, seine Axt, Gitarre, Messer, Schmuck und seine Ringkämpferbekleidung.
      Als der Onkel wieder aus der Grabkammer herausgekommen war, staubten die Nuba zum letzten Mal Asche in die Öffnung. Dann wurde das Grabloch mit einem großen runden Stein geschlossen, darüber ein Hügel aus Erde geformt und eine Stange mit einer weißen Fahne in seine Spitze gesteckt. Freunde von Napi zerbrachen ihre Speere und stießen die Hälfte in den Grabhügel, die verbleibenden Schäfte bewahrten sie in ihren Hütten auf. Schließlich legten sie Dornengestrüpp rund um den Hügel — ein symbolischer Schutz für den Toten. Die Verwandten blieben in der Nähe des Grabes. Auf Steinen sitzend, trauerten sie dort die ganze Nacht.
      Ich ging langsam zu meiner Hütte hinauf und blickte hinunter zu dem Baum, wo der VW-Bus stand. Die Gardinen im Bus waren zugezogen, kein Licht brannte mehr im Wagen. Die beiden Männer schliefen schon. Von der Totenfeier hatten sie keine Notiz genommen.

    Marsch zu den Korongo-Bergen

    A m nächsten Tag beschriftete ich meine Filme, die ich gestern
    belichtet hatte, und machte Notizen in mein Tagebuch. Jemand kam summend in meine Hütte — an der Melodie erkannte ich, daß

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