Memoiren 1945 - 1987
waren. Er wollte noch bis Tonga kommen, einem kleinen Schilluk-Dorf, etwa 80 Kilometer vom Nil entfernt, bei dem eine amerikanische Mission stationiert war. Wir hofften, dort übernachten zu können. Plötzlich blieb der Wagen stehen. Zuerst glaubte ich, der Motor bockt. Als die beiden ausstiegen und ich den Deutschen fluchen hörte, ahnte ich nichts Gutes. Ein Blick auf die Wagenräder genügte. Wir steckten im Morast mit allen vier Rädern. Keiner sprach ein Wort — die Stille war unheimlich. Wann würde hier jemals ein Fahrzeug vorbeikommen? Ohne Hilfe kamen wir hier nicht heraus, und die gab es nur in Malakal. Ich schätzte unsere Entfernung vom Nil auf 10 bis
15 Kilometer und erklärte mich bereit, zurückzugehen und von Malakal Hilfe zu holen, vorausgesetzt, einer der Männer würde mich begleiten. Sie weigerten sich, sie wollten beim Wagen bleiben. Aber wie wollten sie denn den Wagen ohne fremde Hilfe aus dem Sumpf ziehen, in dem er bis zur Achse versunken war? Hierbleiben und auf ein Wunder hoffen, wäre Wahnsinn. Viele Male versuchte ich, den beiden klarzumachen, daß zwei von uns aus Malakal Hilfe holen müßten — ich war auch bereit, bei dem Wagen zu bleiben und auf ihre Rückkehr am nächsten Tag zu warten. Sie blieben stur. So entschloß ich mich, allein zu gehen. Keiner versuchte, mich zurückzuhalten.
Ich lief so schnell ich konnte, um vor Einbruch der Nacht noch möglichst weit zu kommen. In der Richtung, wo Malakal liegen mußte, war der Himmel rot, vielleicht ein Steppenbrand, jedenfalls eine gute Orientierung. Als es dunkler und dunkler wurde, verlangsamte ich meine Schritte, ich konnte nur noch mühsam sehen. Erst jetzt fiel mir ein, daß ich meine Taschenlampe vergessen hatte — ich war viel zu impulsiv und unüberlegt vom Wagen weggelaufen. Ein Zurück gab es nicht mehr, ich hätte den Wagen in der Nacht nicht gefunden. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Plötzlich hörte ich Tierstimmen — ich blieb stehen und lauschte, wie gelähmt vor Angst. Ich erinnerte mich, daß der Deutsche erzählt hatte, hier gebe es viel Wild und Löwen, und da genügend Wasser vorhanden war, holten sich die Löwen Rinder aus den großen Herden der Schilluks. Ich wagte nicht, mich von der Stelle zu bewegen.
Als ich nur noch den leisen Wind hörte, ging ich vorsichtig weiter. Nach etwa einer Stunde Wegs erblickte ich in der Ferne einen schwachen Lichtschimmer. Erst glaubte ich, es wäre das Auge eines Tieres, aber der Lichtschein wurde größer, er näherte sich. Gespannt versuchte ich, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, da sah ich die Silhouette eines Menschen, und ein Mann kam auf mich zu. Ein Schilluk stand vor mir und sprach mich verblüffenderweise in gutem Englisch an. Er war ziemlich erschrocken, mich allein hier anzutreffen, ich brachte kein Wort heraus. Er kam gerade von der Nilfähre und hatte ein Dreirad bei sich, mit dem er noch diese Nacht nach Tonga fahren wollte, wo er bei der amerikanischen Mission beschäftigt war. «Sie können unmöglich allein weitergehen», sagte er und bot mir an, mich zum Nil zu fahren. Ich setzte mich vor ihn auf sein Rad, und wir fuhren gemeinsam zurück. Am Nilufer angelangt, bat er mich, hier auf ihn zu warten, bis er einen Schilluk fände, der mich mit einem Boot nach Malakal hinüberbringen würde. Es dauerte lange, bis mein Retter zurückkam. Die Moskitos hatten mich inzwischen total zerstochen. Tatsächlich kam der Fremde mit einem Schilluk zurück, der bereit war, mich mit seinem Boot nach Malakal zu rudern. Als ich mich dankend von meinem Retter verabschiedete, schenkte er mir sein Perlenarmband, und ich mußte ihm versprechen, ihn in der Mission aufzusuchen.
Lautlos glitten wir über den Nil. Der Schilluk lenkte so sicher das Boot, das nur ein ausgehöhlter Baumstamm war, daß ich jede Furcht verlor. Es war eine traumhaft schöne Nacht. In der Luft zirpte und summte es wie leise Musik, der Himmel war von Sternen übersät, sie schienen zum Greifen nah und groß, wie ich es noch nie gesehen hatte. Wie ein riesiges funkelndes Dach überspannte der Himmel die nächtliche Landschaft.
Der Schilluk führte mich in Malakal zu einer Polizeistation und sprach einige Worte mit den Polizisten. Nachdem ich ihm dankend die Hände gedrückt und ihn entlohnt hatte, verschwand er in der Dunkelheit. Die drei Sudanesen betrachteten mich neugierig. Es war keine alltägliche Angelegenheit, daß spät nach Mitternacht eine weiße Frau, nur
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