Memoiren 1945 - 1987
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Alipo hatte mich gesucht. Aufgeregt nahm er mich an der Hand und bahnte mir den Weg durch die Menge. Gogo, der stärkste Ringkämpfer der Korongo, hatte Natu, seinen Pflegesohn und besten Ringkämpfer der Masakin-Nuba, zum Kampf gefordert, und Natu hatte ihn angenommen — für die Nuba aus Tadoro der aufregendste Augenblick. Wir erreichten den Ring — Natu und Gogo standen sich schon wie zwei Kampfhähne gegenüber. Natu, tief gebückt, die breiten Schultern nach vorn gebogen, und Gogo, ebenfalls gebückt, versuchte in tänzerischer Art Natus Kopf zu berühren. Gogo, über zwei Meter groß, war eine auffallende Erscheinung, schlank und fabelhaft trainiert. Er erschien mir wie David von Michelangelo. Bis jetzt hatte Natu jeden Versuch Gogos, ihn zu packen, geschickt abgewehrt.
Im Ring herrschte unerträgliche Spannung. Plötzlich hatte Natu seinen Arm wie einen Pfeil nach vorn geschleudert und umschlang mit beiden Armen Gogos Hals, dieser, ebenfalls schnell reagierend, umklammerte den Hals von Natu. Beide wirbelten ineinander verschlungen durch den Ring. Die Korongo feuerten ihren Gogo an, die Masakin ihren Natu. Ich war ganz Partei und rief mit meinen Nuba: «Natu, Natu.»
Ein Kampf gleichstarker Gegner, der nie in Roheit ausartete und lange dauerte. Nun drückte Natu Gogo an die Zuschauer heran, schob ihn mit der Kraft eines Stiers Zentimeter um Zentimeter durch den Ring der Zuschauer. Ich konnte die Kämpfenden nicht mehr sehen. Plötzlich hörte ich die Menge aufschreien — und schon sah ich, wie sie Natu auf die Schultern hoben, ihm einen Speer in die Hand gaben und ihn aus dem Ring trugen. Alipos Augen waren feucht geworden. Stolz auf diesen Sieg erfüllte ihn und alle MasakinNuba.
Als ich zu ihm gehen wollte, um ihn zu beglückwünschen, sah ich hinter der Menge den Deutschen und den Engländer auftauchen, die wie zwei Polizisten nach mir Ausschau hielten. Im Höhepunkt der herrlichsten Kämpfe, die ich je gesehen hatte, kamen die beiden Männer auf mich zu, und an ihren Mienen war zu erkennen, daß sie nicht mit sich reden ließen. Sie forderten mich auf, sofort in ihren Wagen zu steigen. Das war zuviel für mich. Ich konnte doch nicht in diesem Augenblick das Fest verlassen. Ich bat, noch wenige Stunden bleiben zu können, ich flehte sie an, ich weinte — aber ohne jede Gefühlsbewegung verlangten sie, ihnen auf der Stelle zu folgen. Da bäumte es sich in mir auf, ich weigerte mich. Der Deutsche sagte: «Gut, dann bleiben Sie eben. Wir fahren. Wir verlassen morgen die Nuba-Berge.»
«Nein», schrie ich sie an, «das kann ich nicht. Ich habe Sie bezahlt für vier Wochen, mit viel Geld, mit meinem letzten Geld. Erst vor acht Tagen haben wir Malakal verlassen — Sie können nicht abreisen.»
«Wir können es», sagte der Deutsche zynisch, sie verließen den Ringkampfplatz. Die um uns stehenden Nuba hatten alles beobachtet und holten Alipo herbei. Ich mußte eine Entscheidung treffen — aber ich hatte keine Wahl, ich mußte mich diesen Kerlen beugen. Ohne Wagen, ohne Proviant, ohne Geld konnte ich nicht bleiben. Ich sagte Alipo, daß ich fort müßte und mich noch schnell von Natu und den anderen Freunden verabschieden möchte. Als er verstand, daß es ernst war, ließ er die anderen Nuba suchen — er blieb bei mir, als wollte er mich vor etwas Bösem schützen. Ich fühlte mich elend — unbeschreiblich elend. Da waren auch schon meine Nuba da, sie hatten meine Hände ergriffen und wollten mich vom Wagen wegziehen. In einem furchtbaren Gedränge hielten Natu, Tukami, Gumba und Alipo — sie alle — mich an Armen und Händen fest. Der Deutsche bestieg den Wagen und ließ den Motor an. Ich heulte vor Wut und Verzweiflung — und stieg ein. Ich schaute nicht zurück — ich winkte nicht, ich konnte den Anblick meiner traurigen Nuba nicht ertragen.
Bei Nacht kamen wir in Tadoro an. Das Dorf lag in tiefem Schlaf — nur einige Hunde bellten. Unruhig wälzte ich mich auf meinem Lager. Die Sterne verblaßten — der Tag dämmerte herauf. Bald waren die Kinder in meiner Hütte, auch einige Frauen fanden sich ein. Sie halfen mir, meine Sachen zu packen, und trugen sie zum Wagen. Ohne einen Grund zu nennen, erklärte mir der Deutsche, sie führen erst morgen. Welch eine Gemeinheit — ich hätte das Fest nicht verlassen müssen und auch das heutige Ringkampffest miterleben können. Immer mehr Nuba versammelten sich um mich. Die Hütte war viel zu klein, um sie
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