Memoiren 1945 - 1987
alle hineinzulassen, so setzten wir uns unter den großen Baum, Kinder und alte Leute. Sie brachten mir kleine Abschiedsgeschenke. Die größeren Kinder schenkten mir kleine Figuren, die sie aus Lehm geformt und gebrannt hatten.
Zum ersten Mal tauchte in mir der Gedanke auf, ein eigenes Haus hier zu haben. Es begann, mich zu faszinieren. Ich fing an Skizzen zu machen. Während ich träumte und zeichnete, kam Gabicke, ein Original von einem Nuba. An Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft übertraf er alle. Ich erzählte ihm von meinem Plan. Sofort fiel ihm ein günstiger Platz ein. Er führte mich zu einer zwischen zwei Gräben liegenden Stelle. Ein tatsächlich idealer Standort. Während der Regenzeit fließen hier durch die Gräben große Wassermengen, die man durch entsprechende Anlagen auffangen könnte. Inzwischen war die Sonne untergegangen, und die Nuba hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen. Als ich allein war, über fiel mich große Einsamkeit. Ich legte mich auf mein Lager und schlief ein.
Beim Erwachen war es noch dunkel. Ich ging aus der Hütte, Fledermäuse flogen herum, sonst blieb es ganz still. Eine unerklärliche Unruhe trieb mich von der Hütte fort. Es war stockdunkel. Vorsichtig, damit ich nicht fiele, tastete ich mich in Richtung meines früheren Lagerplatzes. Der Gedanke, Tadoro ohne Abschied von meinen Freunden zu verlassen, quälte mich. Da hörte ich hinter mir eine Stimme, und als ich mich umdrehte, stand, dicht vor mir, wie ein großer dunkler Schatten, ein Nuba. Er sagte: «Nuba basso» — Nuba kommen zurück. Ich konnte es nicht glauben und wollte ihn fragen — aber er war verschwunden. Ich ging unruhig hin und her, ich war aufgewühlt, meine Erregung ungeheuer. Ich lauschte, aber es war totenstill. War es eine Halluzination? Ich glaubte in der Ferne leises Trommeln zu hören, aber dann verstummte es. Ich wagte kaum zu atmen. Wieder das ferne Trommeln — es wurde deutlicher, schien sich zu nähern, und nach wenigen, unheimlich erregenden Minuten war ich sicher — meine Nuba kamen zurück.
Ein Glücksgefühl durchströmte mich. Ich warf mich in meiner Hütte aufs Bett. Unfaßbar, daß sie kamen, daß sie ihre Kämpfe abgebrochen hatten. Das Trommeln hatte aufgehört. Ich hörte Lachen, Stimmen, und dann standen die ersten in meiner Hütte, Suala und Gogo Gorände, dann Natu, Tukami und Alipo. Aufgeregt erzählten sie, alle Nuba kämen zurück, um Abschied von mir zu nehmen. Nach meinem plötzlichen Aufbruch aus Togadindi habe ein langes Palaver stattgefunden. Natu und Alipo wollten sofort Togadindi verlassen, aber die Korongo-Nuba ließen es nicht zu. Sie hatten ein Festmahl für Natu vorbereitet und ein Schaf geschlachtet. Dies konnten die Nuba nicht ausschlagen, sie hätten die Korongo zu sehr beleidigt. So beschlossen die Masakin, auf die Feste der folgenden Tage zu verzichten. Lange saßen wir vor meiner Hütte zusammen. Sie spielten auf ihren Gitarren, und einige wollten mich nach Deutschland begleiten. Ein unvergeßlicher Abend.
Am nächsten Morgen war der Abschied endgültig gekommen. Die Nuba waren nicht auf die Felder gegangen, sie hatten sich zu Hunderten um den Wagen versammelt und hielten mich fest, als wollten sie mich nicht mehr loslassen. Der Deutsche hupte, und ich mußte mich losreißen. Die Nuba liefen neben dem Wagen her und riefen: «Lern basso, Leni basso.» Aus dem Fenster hängend,
ergriff ich ein paar Hände und tränenüberströmt rief ich zurück: «Leni basso robrära.»
Diesmal, das wußte ich, war es kein tröstendes Versprechen. Ich wußte, ich würde zurückkommen.
In Wau
D as Ziel war Wau, die Hauptstadt der südwestlichen Provinz Bahr el Ghazahl. Es war die unangenehmste Strecke der ganzen Reise. Würden wir sie schaffen, hätten wir die größten Risiken hinter uns. Von Wau waren es noch 900 Kilometer nach Juba, der südlichsten Stadt des Sudan. Das Gelände erwies sich als äußerst schwierig. Die Flüsse waren noch nicht ausgetrocknet, und es gab keine Übergänge.
Die Stimmung war katastrophal. Der Deutsche fluchte, reparierte die ständigen Pannen und versuchte auf allen möglichen Umwegen die Flußbarrieren zu überwinden. Umsonst. Lebensmittel und Wasser wurden immer knapper, vor allem das Benzin. Wir mußten die Fahrt nach Süden aufgeben. Es bestand nur noch eine Chance nach Wau zu gelangen, eine Station der einzigen Eisenbahnlinie des Sudan zu erreichen, die aber weit entfernt in nordwestlicher Richtung von
Weitere Kostenlose Bücher