Memoiren 1945 - 1987
ersparen. Er quälte sie, ihm mein Versteck zu verraten, aber meine Mutter fand jedesmal neue Ausreden. Eine Zusammenkunft hätte ich nicht überstanden. Um dies zu vermeiden, beschloß ich, für längere Zeit von Königsfeld wegzugehen.
In Villingen bekam ich den Passierschein für eine Einreise in die amerikanische Zone. Bevor ich Königsfeld verließ, schrieb ich meiner Mutter einen Brief, der besser, als meine Erinnerung es vermag, meine damalige Verfassung wiedergibt.
Liebste Mutti
ich muß für einige Zeit fortgehen, da es ein Unglück gäbe, wenn ich jetzt mit Peter zusammenkommen würde. Sein so leicht entflamm barer Jähzorn würde bei meinen zerstörten Nerven nur schlimme Folgen haben. Mach Dir, liebste Mutti, keine Sorgen. Ich finde überall Menschen, die gut zu mir sind — und ein Schutzengel ist immer, wenn die Not sehr groß ist, um mich. Ich mache jetzt eine schwere Prüfung durch, und da muß ich ganz allein sein, solange bis ich die inneren Kräfte gefunden habe, unser Leben, ganz gleich wie die Würfel fallen, durchzukämpfen. An Peter habe ich ausführ lich geschrieben. Tritt ihm nicht mit Bitterkeit entgegen. Er hat uns in den letzten Monaten gezeigt, wie sehr er sich bemüht, sein Ver sprechen zu halten und für uns zu sorgen. Ich bin ihm, und Du solltest es auch sein, für diesen Versuch dankbar — es ging über seine Kraft. Es ist nicht seine Schuld, daß er mit mir nicht so leben kann, wie es sein müßte, um glücklich zu sein. Sein Rückfall kam gerade noch zur rechten Zeit, ehe wir uns in einer neuen Ehe für immer gebunden und zerstört hätten. Mein Verzicht auf ihn ist das größte Opfer, was ich bringen kann, denn ich liebe ihn mit meiner ganzen Seele — aber was nützt das alles, wenn ich weder ihn noch mich glücklich machen kann. Meine Sehnsucht nach einem Leben ohne Lüge ist viel größer als das zweifelhafte Glück, geliebt, aber betrogen zu werden. Wir haben so schwere Schicksalsschläge in kurzer Zeit ertragen müssen, wir werden auch diesem standhalten. Es ist mein Wunsch, Dir, liebste Mutti, nach Deinem harten und wenig freudvollen Leben noch Freude zu bereiten. Das kann ich aber nicht, solange ich innerlich zermartert bin. Der Verlust mei nes Tieflandfilms und unseres Vermögens, meine Krankheit und der Zusammenbruch meiner Karriere, das alles bedeutet mir nichts gegen das Unglück meiner Ehe. Aber Kopf hoch, meine liebe, lieb ste Mutti, ich werde bald wieder bei Dir sein, und wir werden nicht verzagen — Gott beschützt uns
Deine Leni
Ein Lastwagen, der von Villingen nach München fuhr, nahm mich mit. Seit zwei Jahren war dies meine erste Reise, die mich aus der französischen Zone hinausführte.
Als wir in der amerikanischen Zone in Augsburg eine Rast machten und ein Gasthaus betraten, traute ich meinen Augen nicht. Die Menschen, die ich hier sah, waren vergnügt und sangen gemeinsam mit amerikanischen Soldaten deutsche Lieder. Ich glaubte mich auf einen anderen Stern versetzt. Nichts erinnerte hier an eine feindliche Atmosphäre. Was für ein Gegensatz zu der französischen Zone. Dort habe ich in den zwei Jahren meines Aufenthaltes keine lachenden Gesichter gesehen. Die Deutschen sahen vergrämt und abgestumpft aus, die Franzosen streng, und viele von ihnen hatten einen hochmütigen Ausdruck.
In Solln bei München konnte ich im Haus meiner sympathischen Schwiegermutter Unterkunft erhalten. Mama Jacob, so nannte ich sie, war ein zartes, fast zerbrechlich wirkendes Geschöpf. Aber sie war von starkem Willen geprägt. Niemand konnte sie beherrschen, so schwach sie auch aussah — sie tat nur das, was sie für richtig hielt, oft zum Kummer ihrer Tochter, die hier zusammen mit ihr wohnte. Beide verwöhnten mich, obgleich ihnen meine zerrüttete Ehe bekannt war und sie ihren ‹Burscherl›, wie sie Peter nannten, sehr liebten. Ihr Haus war von Bomben beschädigt, aber schon repariert. Auch hier waren die Menschen, als ob es keinen Krieg gegeben hätte. Nur die Ruinen überall in der Stadt erinnerten an die Bombennächte.
Mit etwas Geld und Lebensmitteln versehen, fuhr ich mit der Bahn nach Rosenheim. Dort waren bei einem Bauern noch kurz vor Kriegsende Sachen aus meinem Berliner Haus und dem meiner Mutter untergestellt worden; hauptsächlich Teppiche, Bücher und einige wertvolle Bilder, an denen besonders meine Mutter hing. Über das Gemeindeamt fand ich den Bauern, aber nicht mehr unsere Sachen: Nach Kriegsende hatte der Bürgermeister den
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