Memoiren 1945 - 1987
Praxis aufgesucht hatte, erlebte ich eine Überraschung. Vor mir stand ein großer älterer Herr, schaute mich intensiv an und schloß mich dann in seine Arme «Leni», sagte er, «Leni Riefenstahl — auf diesen Augenblick habe ich fünfzig Jahre gewartet. Es war Mitte der zwanziger Jahre, als ich Sie hier im Engadin zum ersten Mal sah und mich Hals über Kopf in Sie verliebte. Ich glaube, es war Ihr erster Film ‹Der heilige Berg›. Sie trugen einen weißen Pelz. Ich war damals Gymnasiast und einer Ihrer glühendsten Verehrer. Täglich warteten wir Jungen vor dem Palace-Hotel, um einen Blick von Ihnen zu erhaschen. Sie anzusprechen, wagten wir damals nicht.»
Seit dieser Begegnung hat er mich jahrelang ärztlich betreut. Er war ein wunderbarer Arzt, der sich nicht damit begnügte, Rezepte auszuschreiben, sondern seine kostbare Zeit nahm, um seine Patienten gründlich zu untersuchen. Er gab sich nicht mit der Diagnose zufrieden, sondern bemühte sich, der Ursache einer Krankheit auf den Grund zu gehen. Seine Patienten mußten dann oft stundenlang warten, da er sich mit jedem Kranken, ob reich oder unbemittelt, lange unterhielt, um sich in dessen Psyche zu versetzen.
Trotz seines berühmten Namens — Aga Khan und andere «Prominente» waren in St. Moritz seine Patienten — machte er täglich bis spät in die Nacht hinein Hausbesuche, auch bei armen Leuten, die er kostenlos behandelte. Er war nicht nur ein begnadeter Arzt und ein großer Mensch, sein besonderes Interesse galt der Kunst. Malen war sein Hobby, Stilleben, Landschaften und Porträts seine Motive.
Als ich mit meinem inzwischen uralten Opel den steilen Weg zu seinem Haus, Ende der Skiabfahrt von der Corviglia, hinauffuhr, war ich durch die vielen Leute, die ins Haus hineingingen, irritiert und wurde noch bestürzter, als ich mit meinem Projektor und dem Bildkoffer in die Garderobe kam. Die Damen in Abendkleidern, die Herren im Smoking. Die bildhübsche Frau Berry stellte mich ihnen vor. Ich war völlig verwirrt und kam mir in Skihose und Sportbluse wie Aschenbrödel vor.
Zu den Gästen zählte auch Hildegard Knef mit ihrem damaligen Mann David Cameron. In ihrem schwarzen langen Kleid sah sie bezaubernd aus. Ich hatte sie noch nicht kennengelernt. Außer ihr fiel mir noch eine andere Frau auf, die kostbaren Schmuck trug und mit «Mannie» angesprochen wurde, es war die Fürstin zu Sayn
Wittgenstein.
Während des Essens an der festlich mit Blumen und Kerzen geschmückten Tafel hielt der Hausherr eine kleine Ansprache, in der er von seiner Jugendschwärmerei erzählte und mit einem Toast auf mich schloß. Ich fühlte mich in dieser ungewohnten Atmosphäre ziemlich deplaziert und hoffte, der Vortrag würde entfallen. Ich konnte mir schwer vorstellen, daß Leute dieser Gesellschaftsklasse sich für die Nuba interessieren könnten. Als die Uhr schon Mitternacht zeigte, wollte ich heimlich verschwinden, hatte aber nicht mit dem Hausherrn gerechnet. Nach einem Mokka führte er seine Gäste in den Salon, der für die Projektion meiner Aufnahmen hergerichtet worden war.
Was ich mir nicht hatte vorstellen können, trat ein. Sehr schnell wurde es ruhiger und dann ganz still. Bald wußte ich, daß auch diese verwöhnte Gesellschaft sich der Wirkung der Bilder nicht entziehen konnte — auch sie wurde von ihnen in ihren Bann geschlagen. Beim Abschied flüsterte mir die Knef zu: «Wunderbar — kann es so etwas überhaupt noch geben?»
Am nächsten Tag war mein Zimmer ein Meer von Blumen.
Turbulente Wochen
I ch war noch nicht einen Tag in München, da erschien Tom Staceys Art Director Alex Low, um mit mir die Bilder für unser Buch auszuwählen. Diese Arbeit machte schon deshalb Freude, weil dieser Engländer ein hervorragender Fotograf war. So herrschte auch bei der Auswahl der Fotos vollste Übereinstimmung.
Andere Arbeiten kamen auf mich zu. Fast zu gleicher Zeit mußte ich Bild- und Textmaterial für zwei Film-Magazine heraussuchen, die ausführlich über meine Tätigkeit berichten wollten, in den USA der Filmhistoriker Gordon Hitchens, in Deutschland der in München lebende Drehbuchautor Hermann Weigel. Bevor ich im letzten Jahr nach Afrika flog, hatte mich Hitchens viele Stunden interviewt. Das war nicht ganz einfach gewesen. Ich mußte zäh mit ihm ringen, um ihn von der Wahrheit meiner Aussagen überzeugen zu können. Er war, wie viele, voller Vorurteile, bemühte sich aber um Objektivität. Bei dem Ansehen, welches
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