Memoiren 1945 - 1987
Schmerztabletten schienen Wunder bewirkt zu haben — er wollte mehr davon und bat auch um einen neuen Verband, den er aber nicht bekam. Ein Verbandwechsel war erst in drei Tagen notwendig.
Das war der Anfang engerer Beziehungen zu den Nuba, aber auch gleichzeitig der Beginn einer uns völlig aufreibenden Belastung. Von nun an kamen Tag und Nacht Männer, Frauen und Kinder mit den verschiedensten Krankheiten zu uns, und ebenso auch mit den kleinsten Wehwehchen. Der Zustrom der Kranken nahm ein solches Ausmaß an, daß wir zu unserer Arbeit nicht mehr kamen. Viele von ihnen waren gar nicht krank, sie wollten nur die Tabletten schlucken und erhofften sich Wunder davon. Wir gaben ihnen Vitamin-Tabletten. Mütter brachten ihre Kleinen, wenn sie auch nur eine harmlose Kratzwunde hatten, andere waren allerdings ernsthaft erkrankt. Viele hatten Verbrennungen, denn sie laufen oft in Feuerstellen hinein. Die Wirkung der Medikamente bei diesen Menschen war sehr stark. Unser Ansehen wuchs, und wir gewannen bei vielen Familien gute Freunde. Jetzt konnten wir in den Dörfern Aufnahmen machen, die vor unserer Versorgung der Kranken nicht möglich gewesen wären. Aber gerade das erschwerte wiederum unsere Arbeit, wenn wir fast mit Gewalt zu irgendeinem Kranken gebracht wurden. Die Nuba kamen dabei auf die ausgefallensten Ideen. Eines Tages wollten sie unbedingt für einen Blinden meine Brille haben, in der Überzeugung, daß er dadurch wieder sehen könnte. Ich versuchte ihnen klarzumachen, daß eine Sonnenbrille keine Medizinbrille sei. Erst als der Blinde mit meiner Brille nicht sehen konnte, war niemand mehr an ihr interessiert.
Vor allem anderen faszinierten mich die jungen Männer mit ihren bemalten Gesichtern. Über welch unglaubliche Phantasie und künstlerische Begabung verfügten diese Eingeborenen. Der Sinn ihrer Bemalungen war die Steigerung ihres Aussehens, und jeder wollte dabei den anderen übertreffen. Mit der Zeit kannte ich schon viele von ihnen mit Namen. Sie hatten bemerkt, wie beeindruckt ich von ihren Bemalungen war, und nun versuchten sie, mich mit täglich neuen Masken in Erstaunen und Begeisterung zu versetzen. Einige von ihnen waren besonders begabt. Ihre figürlichen Zeichnungen, oftmals auch ganz abstrakt, die weniger kultische Bedeutung besaßen, sondern mehr der Ästhetik dienten, rührten an die Ursprünge der Kunst. Ob sie sich symmetrisch oder asymmetrisch mit Ornamenten, Linien oder stilisierten Figuren bemalten, immer war der Eindruck harmonisch. Wie sie Zeichen und Farben benutzten, bewies ihre hohe künstlerische Vorstellungskraft. Sie sahen wie lebende Bilder von Picasso aus. Niemand weiß, woher die Nuba diese unglaubliche Begabung haben, niemand hat es bisher erforscht, und es wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Einige Nuba besaßen noch Spiegel aus der Zeit, als die Engländer den Sudan verwaltet hatten. Aber auch von arabischen Händlern bekamen sie welche. Ich selbst hatte eine Anzahl Spiegel mitgebracht, ihnen aber noch keine gegeben, ahnend, was dann geschehen würde. Leider war ich töricht genug und schenkte einige meinen Freunden, was ich bitter bereuen mußte. Von nun an ließen sie mir, sobald sie mich sahen, keine Ruhe mehr, besonders die Knaben und Halbwüchsigen forderten unaufhörlich von mir die «mandaras», wie sie auf arabisch heißen. Als ich keine mehr hatte — und so viele, wie sie nun haben wollten, hätte ich gar nie mitbringen können —, griffen sie in meine Taschen, wurden aufdringlich und auch böse. Der Wunsch nach den Spiegeln breitete sich in Nyaro, Kau und Fungor wie eine Epidemie aus — wo ich erschien, riefen sie: «Leni mandara.» Etwas Ähnliches hatten wir schon vorher erlebt, als wir von einigen Mädchen und jungen Männern Polaroid-Aufnahmen gemacht hatten. Jeder wollte nun eine haben. Daß unsere Fotokameras keine Papierbilder ausspucken konnten, begriffen sie nicht und meinten daher, dies wäre böser Wille, was zur Folge hatte, daß sie sich nicht mehr
fotografieren lassen wollten.
Wochen waren vergangen, aber Arabi kam, ebenso wie vorher schon Suliman, mit dem Lastwagen nicht zurück. Wir hatten kein Fahrzeug für den Rücktransport unseres Gepäcks und auch kein Benzin mehr. Das Wasser mußten wir jetzt mit einem Esel holen. Die Hitze, die inzwischen unerträglich wurde — bei 40 Grad im Schatten und mehr, in den Nächten kaum weniger —, erlaubte es uns nicht einmal mehr, weite Strecken zu gehen.
Einige schwere Wochen
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