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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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folgten. Das Warten auf den LKW und der Treibstoffmangel, der es uns unmöglich machte, nach Nyaro und Fungor zu fahren, belasteten unsere Nerven. Wir erkrankten an Grippe, hatten abwechselnd hohes Fieber und waren am Rande völliger Erschöpfung. Meine Lippen waren so ausgetrocknet, daß sie sich wie trockene Blätter nach innen rollten. Beim Liegen mußte ich mich in nasse Tücher wickeln. Ein einziger Wunsch beherrschte uns mehr und mehr. Von hier fortzukommen und wieder daheim zu sein. Wir träumten von grünen Wäldern, von Meeresbrisen und lechzten nach Bier. Aber wir hatten noch lange nicht die Aufnahmen, die wir heimbringen wollten und deretwegen sich diese Entbehrungen und Strapazen wirklich gelohnt hätten.
      Da kam Tute und teilte uns mit, die Nuba von Kau seien von den Feldern zurückgekommen. Das war das Zauberwort, das uns unseren Zustand vergessen ließ. Wir beschlossen, etwas Besonderes zu tun, um dadurch vielleicht ihre Gunst zu gewinnen. Ich hatte von meinen Aufnahmen, die ich vor einem Jahr hier gemacht hatte, Duplikate mitgebracht und wollte sie ihnen vorführen. Projektor, Leinwand und Lichtaggregat hatten wir dabei.
      Wie ein Lauffeuer mußte es sich verbreitet haben, daß die Fremden etwas Außergewöhnliches vorhatten. Bald hatten sich in der Nähe viele Menschen versammelt. Die Reaktion der Nuba auf die Bilder war unbeschreiblich. Ganz verrückt wurden sie, als ich die aus Fungor stammenden Messerkampfaufnahmen zeigte. Namen schwirrten durch die Luft, die Nuba schienen jeden, auch wenn er nur als Silhouette sichtbar war, zu erkennen. Die Vorführung war ein großes Ereignis und ein großer Erfolg. Nun durften wir doch noch auf neue Aufnahmen hoffen. Wir hatten uns nicht geirrt. Schon am nächsten Tag erschienen viele Nuba an unserem Lagerplatz, vor allem junge Männer von Kau, prächtig geschmückt und bemalt. Die Tage wurden turbulent. Filmen, fotografieren, die Kranken versorgen, auf zahlreiche Besucher eingehen und sie, wenn wir ihre Wün sche nicht erfüllen konnten, freundlich vertrösten. So ging das von früh bis spät. Ab und zu kamen sogar die jungen Mädchen von Kau, einige mit ihren Müttern. Abgesehen von ihrer Neugierde war es vor allem ihr Verlangen nach Perlen, das sie zu uns führte. Einige dieser schönen Mädchen schenkten mir dafür ihre im Haar befestigten Metallspangen oder ihre Armreifen.
      Während dieser Zeit hatte ich ein unvergeßliches Erlebnis. Horst schlief schon — er hatte einen besonders schweren Tag gehabt. Ich beobachtete den Mond, wie er über den Bergen von Kau aufging. Schon in meiner Jugendzeit hatte der Mond immer große Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Einen so großen und so hellen Mond hatte ich jedoch noch nie gesehen. Ich fand keine Ruhe zum Schlafen und ging nur mit einem Stock und einer Taschenlampe aus unserer Umzäunung hinaus. Da glaubte ich, in weiter Ferne Trommeln zu hören. Nur die Hunde bellten, sonst war es ganz still. Der Mondschein war so hell, daß ich ohne Taschenlampe gut sehen konnte. Ich ging in die Richtung, aus der das immer stärker vernehmbare Trommeln kam. Nach ungefähr zwanzig Minuten Weg erkannte ich am Rand des Dorfes die Umrisse einer großen Anzahl von Menschen. Junge Mädchen und Männer, die im Mondlicht tanzten. Ein Anblick von fast unwirklicher Schönheit. Eine sakrale Stimmung lag über den Tanzenden und auf ihren Zuschauern. Ich setzte mich auf einen Stein neben eine Mädchengruppe. Sie erkannte und begrüßte mich. Es tanzten immer nur vier oder fünf Mädchen, die von anderen abgelöst wurden. Fast alle waren von vollendeter Gestalt, auffallend ihre überlangen, schlanken, durchtrainierten Beine. Die Männer, von denen immer nur ein einzelner in der Mitte des kleinen Platzes tanzte, in langsamen, fast zeitlupenhaften Drehungen, waren nicht bemalt, aber stark eingeölt, ihre Körper wirkten wie lebend gewordene Marmorskulpturen. Welch ein Gegensatz zu den rot, gelb und ockerfarbig geschminkten Mädchen, die wie mit Lack überzogen aussahen. Keine Inszenierung auf einer Bühne hätte eine solche Stimmung erzeugen können. Zu den Trommeln sangen ältere Frauen Lieder in der Art von Chorgesängen. Was ich hier miterlebte, war wie die mystische Vision aus einer uralten Sage. Ich hatte keine Kamera dabei — und hätte ich eine mitgehabt, ich hätte nicht fotografiert. Unbemerkt begab ich mich nach einiger Zeit zu unserem Lagerplatz zurück.
      Am nächsten Morgen kam es zu einem ernsten Gespräch mit

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