Memoiren 1945 - 1987
setzten uns in eine Sofaecke mit vielen Kissen. Alles in der Wohnung hatte gedämpfte Farben. Eine Katze schmiegte sich um die Beine von Waldner, der uns Tee und Gebäck servierte.
Es fiel mir auf, daß er die Augen halb geschlossen hatte und so etwas verschlafen wirkte. Wahrscheinlich typisch für sein nach innen gerichtetes Wesen. Noch bevor ich meinen Tee trank, fragte er mich: «Wann sind Sie geboren?» ehe ich noch antworten konnte, sagte er: «Bestimmt im August, Sie können nur im August geboren sein.»
Ich lächelte und sagte: «Ja, am 22 . August 1902.» Er stand auf, ging in den Raum nach rückwärts hinter einen Vorhang und kam nach kurzer Zeit zurück.
«Sie haben ein sehr ungewöhnliches Horoskop», sagte er, «wie lange bleiben Sie noch in Rom?»
«Nur bis heute abend.»
«Das sollten Sie nicht», sagte er unerwartet temperamentvoll, «Sie müssen unbedingt noch in Rom bleiben.» Myrjan fiel ihm ins Wort: «Es geht leider nicht, Francesco», sagte sie, «Leni wird in München erwartet.»
«Einen Augenblick», sagte Waldner und verschwand wieder hinter dem Vorhang. Dann kam er mit einer kleinen Karteikarte zurück, ließ sich in den Sessel fallen, vertiefte sich in diese Karte, auf der ein Horoskop gezeichnet war, und sagte mit großer Bestimmtheit: «Wenn Sie heute abend abreisen, verlieren Sie eine nie wiederkehrende Chance. Ich habe hier von einem meiner Kunden ein Horoskop. Sein Mond liegt auf Ihrer Sonne, die Sterne stehen so zueinander, daß es eine bessere Partnerschaft nicht geben könnte. Dieser Mann», fuhr Waldner fort, «ist ein reicher italienischer Geschäftsmann mit künstlerischen Ambitionen, man könnte sagen, ein geborener Mäzen. Wenn Sie mit diesem Mann zusammenkommen könnten, würde sich dies für Sie sehr günstig auswirken.»
Myrjan versuchte, ihn zu unterstützen: «Du solltest es dir wirklich überlegen. Fast immer ist etwas dran, wenn Francesco sich so bestimmt äußert. Bleib noch einige Tage, du kannst doch mit deiner Mutter telefonieren.»
Ich blieb. Am nächsten Vormittag rief Herr Waldner Myrjan an, «sein» Italiener erwarte mich um fünf Uhr in seinem Büro in der Via Barberini 3. Er hieß Professore Dott. Ernesto Gramazio und war österreichischer Generalkonsul in Rom.
Pünktlich war ich dort. Man führte mich durch mehrere modern eingerichtete Räume, in denen einige Damen und Herren beschäftigt waren, und bat mich, in dem Büro von Professor Gramazio zu warten. In diesem Zimmer waren die Wände mit Fotos berühmter Künstler und Politiker bedeckt, alle persönlich signiert. Noch machte ich mir keine Hoffnungen und war deshalb auch nicht enttäuscht, daß ich schon über eine Stunde wartete.
Plötzlich hörte ich Stimmen, Gelächter, und Signor Gramazio stand vor mir. Lebhaft begrüßte er mich auf italienisch, dann auf französisch und schließlich auf englisch. Er sah aus wie ein Italiener aus dem Bilderbuch. Eine große stattliche Erscheinung, sehr gepflegt und modisch gekleidet, schwarzes volles Haar, große braune Augen und die Gesichtszüge eines Römers aus einem Hollywood-Film. Wäre ich ein junges Mädchen gewesen, hätte mich seine Erscheinung beeindruckt.
Er entschuldigte sich für seine Verspätung und begann dann zu reden, so viel und so schnell, daß ich kaum folgen konnte. Immer mehr erschien er mir wie ein Schauspieler, der sich gern im Glanz berühmter Persönlichkeiten sonnt. Er zeigte mir Bilder von der Callas, dem italienischen Staatspräsidenten, von Anna Magnani, Rossellini und de Sica. Bei jedem dieser Fotos erzählte er, wann er mit dieser Persönlichkeit zum letzten Mal beisammen war. Mich machte dies reichlich nervös, denn für mich war das alles unwichtig. Mit keinem Wort kam er auf meine Arbeit zu sprechen, und ich ärgerte mich, daß ich seinetwegen in Rom geblieben war. Ich wartete nur noch auf eine Pause in seinem Redeschwall, stand dann auf, um mich zu verabschieden.
Gramazio sah mich überrascht an: «Sie wollen doch noch nicht gehen, ich hatte mir vorgestellt, daß wir heute abend in einem netten Lokal essen und ein Gläschen Wein trinken. Auch möchte ich etwas über Ihre Pläne erfahren, mein Freund Waldner hat mich neugierig gemacht.»
Wir saßen in einem Gartenrestaurant mit bunten Lämpchen und Gitarrenmusik. Herr Gramazio hatte einen jungen Italiener mitgenommen, der bei ihm beschäftigt war und gut deutsch sprach. Gramazio besaß eine Firma, die in Italien große
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